Blickwechsel 15. September 2021
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Was ist das Schwierigste an Ihrem Beruf?

1 Antwort

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Keine leichte Frage. Das ist sicher von Individuum zu Individuum verschieden, manche kommen mit 24-Stunden-Diensten nicht gut klar, andere mit dem Wechsel aus Nichtstzun und Warten mit Phasen maximaler Anspannung. Im Medizinischen mag es bei den einen eher Schwierigkeiten bei z.B. Kindernotfällen geben, bei anderen sind es die Schwerstverletzten, womit sie nichts zu tun haben wollen.

Ich denke, bei mir ist es das Triagieren. Wenn mehrere bedrohlich Verletzte oder erkrankte Menschen gleichzeitig auftauchen und die Ressourcen vor Ort nicht zur Versorgung aller reichen, muss man auswählen, wer als erstes Hilfe benötigt und wer noch warten kann – oder für wen es keine Hoffnung mehr gibt. Dieses System ist sicher gut und richtig, aber hat eben eine gewisse Dynamik (der Zustand der Patienten ändert sich zwischendrin auch mal) und man fragt sich doch schnell, ob das alles so richtig ist. Man entscheidet etwas plakativ gesagt innerhalb kürzester Zeit, ob ein Mensch leben darf oder sterben muss und man kann nie richtig sagen, ob diese Entscheidung auch noch richtig ist, bevor man sich umgedreht hat. Wie gesagt, sehr plakativ.

In der Ausbildung lernen wir, solche Situationen zu meistern. Sie sind aber sehr selten und daher kann man im Arbeitsalltag wenig Routine entwickeln. Daher habe ich vor solchen Situationen höchsten Respekt – und dagegen kann ich wenig tun, außer immer wieder den Ernstfall zu proben

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
KleinStein 
Fragesteller
 15.09.2021, 16:13

Ich verstehe. Ich könnte es mir kaum vorstellen, wie eine solche Situation ist. Vielen Dank für die Antwort :-)

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Destranix  15.09.2021, 16:25

Wäre es nicht, aus ethischer Sicht, dann angebracht, bei Fällen, wo Ressourcenkonflikte bestehen und tatsächlich bei allen Betroffenen ernsthafte Schäden zu befürchten sind, nicht zu entscheiden, wer Leben udn wer Sterben darf, sondern simplen, sher strikten Entscheidungsmustern zu folgen (beispielsweise zufälligen)?

Denn Entscheidungen über Leben und Tod sollte kein Mensch treffen, denn es fehlt die Möglichkeit, die Zukunft vorauszusehen, was verhindert, dass die Entscheidung basierend auf anderen Grundsätzen optimal gewählt wird und einem jedem Menschen Unrecht tut, der eben deshalb sein Leben verliert.

Oder ist soetwas schlicht nicht praktikabel in der Realität?

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DorktorNoth  15.09.2021, 16:28
@Destranix

Du meinstm, es wird einfach nur jeder zweite behandelt, unabhängig von den Ressourcen? Hm... Ich fände das tatsächlich noch wesentlich unethischer... Wenn der erste ein 30jähriger Familienvater ist, der zweite ein 97 jähriger schwer vorerkrankter Mensch, wäre das dann ethisch, den Alten zu behandeln? ICh denke, die Auswahl nach Chancen ist schon richtig. UN dwer soll sie treffen, wenn nciht jemand, der dafür ausgebildet ist? Das dumme ist halt, dass man sich irren kann und dann die Konsequenzen tragen muss. Aber der Zufall irrt auf jeden Fall.

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Destranix  15.09.2021, 16:41
@DorktorNoth
Du meinstm, es wird einfach nur jeder zweite behandelt, unabhängig von den Ressourcen?

Beispielsweise, ja. Wobei bei einem Notarzteinsatz vermutlich nicht immer eine Reihenfolge der Patienten vorliegt, die nicht erst noch erstellt werden müsste.

Wenn der erste ein 30jähriger Familienvater ist, der zweite ein 97 jähriger schwer vorerkrankter Mensch, wäre das dann ethisch, den Alten zu behandeln?

Und wenn der 30-jährige nun einen Hirntumor hat und in zwei Wochen sowieso verstirbt, der 97-jährige aber ein Jahr nach dem Unglück seiner Nichte das Leben rettet, da er im richtigen Moment den Notruf wählt.

Das sind so Sachen, die kann man nicht wissen, das meine ich.

Im Grunde ist jedes Leben gleich viel Wert, darauf wollte ich hinaus.

Ich denke, die Auswahl nach Chancen ist schon richtig.

Mehr oder weniger schon, ja. Problematisch wird es allerdings dann, wenn die Chancen nicht klar genug abzuwägen sind.
Wenn du von dir aus sagst, du könntest einer Person höchstwahrscheinlich nicht mehr helfen, einer anderen aber schon, dann ist deine Entscheidung, die Person mit der höheren Überlebenswahrscheinlichkeit bevorzugt zu behandeln sicherlich ethisch vertretbar. Wenn du allerdings keine klaren Unterschiede machen kannst, dann wüsste ich nicht, wie jemand von sich selbst behaupten könnte, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, denn ob es die Richtige Entscheidung war entscheidet sich dann schlicht durch Zufall.

Das dumme ist halt, dass man sich irren kann und dann die Konsequenzen tragen muss.

Irren ist menschlich bekanntlich, dir selbst hättest du also nichts vorzuwerfen. Rechtlich dürfte das auch unproblematischs ein nehme ich an, wegen der rechtfertigenden Pflichtenkollision, oder täusche ich mich da?

Aber der Zufall irrt auf jeden Fall.

Der Zufall irrt wahrscheinlichkeitsverteilt (hoffentlich gleichverteilt), also nicht in jedem Fall.

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DorktorNoth  15.09.2021, 16:45
@Destranix

Ah, ein Mathematiker... ;-) Okay, der Zufall irrt meistens. Ja, wenn der 30jährige einen Hirntumor hat, liegt dann z.B,. eine Fehlentscheidung vor. Das mag sein, ist allerdings mit den zur Verfügung stehenden Informationen zu erklären. Man muss ja nciht davon ausgehen, dass er das hat. So gesehen sind im Groß´schadensfall die Chancen gar nicht abzuwägen. Wenn man so argumentiert, könnte man auch sagen, dass man einfach niemanden behandelt und erst mal Ressourcen zusammenzieht und dann die behandlet, die noch da sind. Wäre auch gangbar. Ich denke aber, dass es schon so ganz gut geregelt ist. Aber du hast recht: wenn man sich bei unklarer Situation und Informationsmangel für den falschen entscheidet, das ist schon echt nicht schön. Leider fällt mir kein besseres Verfahren ein, was ethisch der jetzigen Lösuing überlegen wäre und ähnlich gute Kompromisse zwischen medizinischer Versorgung und Mangelwirtschaft bietet

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Destranix  15.09.2021, 17:00
@DorktorNoth
Ah, ein Mathematiker... ;-) Okay, der Zufall irrt meistens.

Informatiker. Aber Mathematik braucht man da auch.

Der Zufall irrt auch nicht meistens (sondern wohl in der Hälfte der Fälle, wobei das davon abhängt, wie die Fälle jeweils aussehen), aber womöglich häufiger als du, ja.

Wenn man so argumentiert, könnte man auch sagen, dass man einfach niemanden behandelt und erst mal Ressourcen zusammenzieht und dann die behandlet, die noch da sind.

Das entspräche zwar sicherlich manchem Prinzip der Gerechtigkeit, wäre aber Unsinn, da man dann die Möglichkeiten, die man hat, nicht nutzen würde, um den Menschen zu helfen.

wenn man sich bei unklarer Situation und Informationsmangel für den falschen entscheidet, das ist schon echt nicht schön. Leider fällt mir kein besseres Verfahren ein, was ethisch der jetzigen Lösuing überlegen wäre und ähnlich gute Kompromisse zwischen medizinischer Versorgung und Mangelwirtschaft bietet

Ich kann mal äußern, was mir spontan in den Sinn käme, weiß aber nicht, ob das praktikabel wäre:

Im Grunde dürftest du zu einem Punkt kommen, in dem du eine Entscheidung bezüglich der weiteren Versorgung treffen musst.
An diesem Punkt bist du dir entweder ausreichend sicher, welchen Patienten du weiter versorgst, basierend auf den Informationen, die du hast und Heuristiken, welcher Patient wahrscheinlicher überlebt. In diesem Fall hast du dir nichts vorzuwerfen, denn die Entscheidungsregeln hast du nur angewendet und die Informationen nur erhalten. Infrage kämen Vorwürfe wegen Unachtsamkeiten beim erlangen der Informationen oder beim Anwenden der regeln, doch auch hier wirst du dir nichts vorzuwerfen haben, denn du bist keine Maschine, sondern ein Mensch und somit nur bis zu einem gewissen Grad in der Lage, Informationen vollständig korrekt zu erfassen und Regeln darauf basierend korrekt umzusetzen.
Oder, im anderem Fall, bist du dir nicht sicher, welcher Patient wahrscheinlicher überlebt. Hier bedarf es weiterer Maßnahmen, um Entscheidungen vorzubeugen, die du dir vorwerfen könntest, denn hier müsstest du weitere Entscheidungen entweder zufällig treffen oder basierend auf unzureichenden Informationen. Diese Situation muss erkannt werden . Sobald sie erkannt wurde hast du die Möglichkeit, dich bewusst für einen Patienten zu entscheiden nach einem einfachen vogegebenem Prinzip (beispielsweise zuerst den Patienten behandeln, der am nördlichsten liegt oder was auch immer praktikabel ist).

So zumindest meine Überlegungen, ich weiß nicht, ob dir das hilft.

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DorktorNoth  15.09.2021, 17:04
@Destranix

Naja, aber so ist es doch. In der Triage steht an erster Stelle die Scihtung und Einordnung in die Behandlungskategorien. Es können nur die unmittelbar zur VErfügung stehenden Informationen genutzt werden, da keine Zeit zur ausgedehnten Evaluation ist. Nach diesen Kategorien wird dann versorgt und zwischendrin immer wieder reevaluiert, ob die Einstufunbg der weniger dringlichen Fälle noch stimmt. Ressourcen werden für alle Fälle herangeführt, die Behandlung erfolgt nach Dringlichkeit. ODer lese ich da in deinem Vorschlag was falsch?

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Destranix  15.09.2021, 17:09
@DorktorNoth

Mein Vorschlag bezog sich konkret auf Fälle, in denen eine Einordnung der Dringlichkeit nicht in dem Maße möglich ist, in dem sie erforderlich wäre.

In anderen Fällen dürfte eine Entscheidung vermutlich eher leicht fallen, zumindest, solange man nicht anfängt prinzipiell zu hinterfragen, ob eine Unterscheidung nach Dringlichkeit oder die Entscheidungskriterien generell ethisch vertretbar sind.

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DorktorNoth  15.09.2021, 17:11
@Destranix

Wenn die Fälle so ähnlich sind, dass sie z.B. beide Kategorie Rot sind, kann man natürlich noch versuchen, zusätzliche INformationen zu bekommen, die eine Entscheidung noch solider machen, ansonsten muss rein praktisch der Zufall entscheiden. Ich habe in so einem Szenario kaum Zeit, noch den Hausarzt anzurufen. Aber in der Regel gibt es schon allein durch das VErletzungsmuster eine gewisse Reihenfolge auch innerhalb der gleichen Kategorie

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Destranix  15.09.2021, 17:17
@DorktorNoth
kann man natürlich noch versuchen, zusätzliche INformationen zu bekommen, die eine Entscheidung noch solider machen, ansonsten muss rein praktisch der Zufall entscheiden.

Genau darauf zielt mein Vorschlag ab. Eine konkrete Idee wäre, sollten die zusätzlichen Informationen selbst nicht wirklich sehr eindeutig eine Person in ihrer Überlebenswahrscheinlichkeit bevorzugen, lieber per Zufall zu entscheiden, um Entscheidungen bezüglich menschlicher Existenzen, die sich durch diese Informationen womöglich nicht rechtfertigen liesen, nicht dadurch zu rechtfertigen zu versuchen.

Also zumindest, wenn man sich deshalb Vorwürfe machen sollte. An sich könnte man natürlich auch einfach sagen, dass sich der Zufall aus der Situation automatisch ergibt bzw. jede Eintscheidung, die man hätte treffen können, gleich falsch wäre. (Oder gleich richtig, wie man es sieht. Nur kann eine Entscheidung nur falsch sein, wenn am Ende deshalb jemand stirbt, insofern...)

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