Weis oder Weiß?
Hallo alle zusammen,
aktuell versuche ich zu merken, wann weiß und wann weis geschrieben wird.
Aktuell bin ich bei Wissen angelangt.
Jetzt habe ich im Internet folgendes gefunden:
Wissen
ich - weiß
du - weißt
er, sie, es - weiß
wir - wissen
ihr - wisst
sie, Sie - wissen
Soweit so gut.
Wenn ich mir jedoch einige Beispiele anschaue, dann kapiere ich das ganze noch nicht ganz.
- (1) Theodor weiß nicht, was er in den Sommerferien machen soll. (wissen)
- (2) Erik hat ein Geheimnis. Nur seine Freundin weiß Bescheid. (wissen)
- (3) Weißt du, wann der Kurs stattfindet? (wissen)
- (4) Herbert will mir ernsthaft weismachen, dass Fleisch gesünder als Gemüse sei. (weismachen)
- (5) Ein Betrüger machte einer Rentnerin aus Heine weis, dass bei ihr eingebrochen sei. (weismachen)
Meine Frage bezieht sich auf die letzten beiden Beispiele:
- (4) Herbert will mir ernsthaft weismachen, dass Fleisch gesünder als Gemüse sei. (weismachen)
Hier sollte doch ein Eszett kommen, weil Herbert ist Er?
Oder dann mir dann Ich.
Aber warum wird hier mit einfachem s geschrieben?
5 Antworten
Versuch dir einfach Folgendes zu merken:
- Die Farbe Weiß hat immer "ß", egal ob groß oder klein geschrieben, egal ob dekliniert oder nicht: Mein Hemd ist weiß. Ich trage ein weißes Hemd. Jetzt habe ich einen Fettspritzer auf meinem weißen Hemd. Ich trinke gern Weißwein. Auch Weißwurst mag ich gern.
- Alle Formen vom Verb "wissen", auch davon abgeleitete Wörter, haben entweder "ß" oder "ss", und zwar ß nach langem Vokal oder Diphthong, ss nach kurzem Vokal: er weiß, ich wusste, wissbegierig, das Wissen, wissentlich, wir wüssten etc.
**************************************************************************************
- Das Adjektiv weise, der Naseweis und das trennbare Verb "jdm. etwas weismachen" werden immer nur mit einem "s" geschrieben:
- Die drei Weisen aus dem Morgenland sind Kaspar, Melchior und Balthasar.
- Eine alte weise Frau hat mir gesagt, dass ich ...
- Philipp ist ein kleiner Naseweis, ziemlich vorwitzig und manchmal nervig, aber sonst ganz lieb.
- Mina macht ihren Eltern gern mal etwas weis. Kurz vor Weihnachten wollte sie ihnen weismachen, alle Weihnachtsbäume wären ausverkauft.
Auf den ersten Blick ist die Frage sehr leicht zu beantworten: Weismachen kommt von weise ‘klug’, wird also wie dieses im einem einfachen s geschrieben, während wissen ein Doppel-s hat. Auf den zweiten Blick macht diese Antwort aber neue Bauchschmerzen, denn warum schreibt man weise und wissen verschieden? Die beiden müssen doch miteinander verwandt sein, oder ist das etwa nur Zufall, daß die beiden fast gleich lauten und ganz ähnliche Bedeutung haben?
Die beiden sind wirklich miteinander verwandt und gehen auf dieselbe indogermanische Wurzel weyd- zurück. Indogermanisch wurde vor gut 5000 Jahren gesprochen und ist der Vorläufer sehr vieler heutiger Sprachen, darunter Deutsch, Französisch, Russisch, Kurdisch und Griechisch. Entsprechen findet man Abkömmlinge der Wurzel weyd- heute in sehr vielen Sprachen, und sie bedeuten entweder wissen oder sehen; aufgrund einiger Argumente, die ich hier nicht ausbreiten will, ist es klar, daß die Wurzel ursprünglich ‘sehen’ bedeutete, daß aber die Perfektform ‘ich habe gesehen’ oft im Sinne von ‘weil ich es vorher gesehen habe, weiß ich es jetzt’ verwendet wurde. In manchen Sprachen existieren beide Bedeutungen nebeneinander, in anderen hat sich eine durchgesetzt, und die andere ist ausgestorben.
- Auf Griechisch haben wir z.B. οἶδε ‘er weiß’, von der Form her ein Perfekt aber von der Bedeutung ein Präsens, aber auch εἶδε ‘er sah’ (das v- am Wortanfang ist verschwunden, weil Griechisch diesen Laut ganz generell verloren hat).
- Französisch haben wir voit ‘er sieht’, oder italienisch vede. Beide kommen von Latein videt ‘er sieht’, das wir natürlich auch alle als Fremdwort Video (‘ich sehe’) kennen. Bereits im Lateinischen war nur noch die Bedeutung ‘sehen’ aktiv, und die modernen romanischen Sprachen haben daher auch nichts mit der Bedeutung ‘wissen’.
- Die slavischen Sprachen haben dagegen wieder beide Bedeutungen erhalten, z.B. russisch видит vidit ‘er sieht’ und невежда nevežda ‘Dummkopf’ (das ne- ist natürlich eine Verneinung).
- Im ārischen Zweig bin ich nicht so daheim, deshalb kann ich Dir keine kurdischen Belege liefern, aber zumindest im Saṁskr̥t habe ich einen hübschen Beleg, der die alte Zweideutigkeit des Wortes noch zeigt: Ein वेत्तृ vettr̥ ‘Zeuge’, ist jemand der etwas gesehen hat und daher etwas weiß. Außerdem kennst Du vielleicht das Wort Veda वेद, das bedeutet einfach ‘Wissen, Wissenschaft’ und bezeichnet auch eine Sammlung religiöser Texte die in ihrem Kern bis in die Bronzezeit zurückreichen.
Nach dieser überlangen Aufzählung glaubst Du mir hoffentlich, daß es diese Wurzel weyd- wirklich gibt. Die Frage ist nur, warum kommen ihre Abkömmling einmal mit -s- und ein andermal mit -ss- im Deutschen an?
- Normalerweise wird indogermanisches -d- in den germanischen Sprachen zu -t-, und speziell im Deutschen wird das nochmals umgebaut und zu stimmlosen s, das oft als -ss- oder -ß- geschrieben wird. Ein Beispiel dazu wäre griech ὕδωϱ hýdōr und deutsch Wasser (engl. water). Deshalb findet man oft Paare, in denen ein deutsches stimmloses s zu einem englischen t korrespondiert, z.B. Haß/hate, heiß/hot, lassen/let.
- Bei ich weiß haben wir genau diese erwartete Entwicklung, das zugehörige englische Verb ist to wit (heute ziemlich ungebräuchlich).
- Bei weise ist die Sache aber anders gelaufen, und das sieht man auch an engl. wise bzw. wizard. Hier kam sowohl im Englischen als auch im Deutschen ein stimmhaftes -s- heraus, das auf Deutsch natürlich nur mit einfachem -s- geschrieben werden kann. Denn das zugrundeliegende indogermanische Adjektiv weydtos ‘klug, erfahren’ wurde mit dem Suffix -tos gebildet, und die Lautkombination -dt- gab bei der Entwicklung im Germanischen sofort ein stimmloses -s-, das sich dann später sowohl im Deutschen als auch im Englischen zu stimmhaft wandelte.
Dieses sehr komplizierte Beispiel zeigt vor allem, daß das Prinzip der „Stammschreibung“ im Deutschen nicht lückenlos implementiert werden kann, weil auch Wörter, die von derselben Wurzel kommen, also miteinander verwandt sind, manchmal verschieden geschrieben werden müssen, weil ihre Aussprache durch die vielen Lautverschiebungen der letzten Jahrtausende nicht mehr übereinstimmt. Man kann eben nicht gleichzeitig
- die Schreibung phonetisch machen (sie soll die Aussprache wiedergeben)
- und die Schreibung etymologisch machen (sie soll die Wortverwandtschaft wiedergeben)
wenn es miteinander verwandte Wörter gibt, deren Aussprache nicht übereinstimmt.
Das Farbadjektiv weiß ist übrigens nicht mit den Genannten verwandt, sondern kommt von einer ganz anderen indogermanischen Wurzel ḱweyt- ‘glänzen’. Das ḱ am Wortanfang hat im Englischen als meist stummes h in white überlebt, und in russisch светлый svetlyj ‘hell’ taucht es als s- auf (vgl. den Vornamen Svetlana).
"Etwas weismachen" hat nichts mit "Wissen vermitteln" zu tun.
Ich kann irgendeine Behauptung aufstellen und versuchen, dir weis zu machen, dass diese Behauptung ein Fakt ist.
Erzähle ich dir etwas über einen Fakt, vermittle ich dir damit das entsprechende Wissen darüber.
Weismachen hat mit wissen nichts zu tun. Das sind zwei völlig unterschiedliche Worte.
Hier sollte doch ein Eszett kommen, weil Herbert ist Er?
Hähh?
Weismachen wird immer mit einfachem s geschrieben.
Nix mit "er" ...
Es braucht keine "logische Schlussfolgerung".
Es gibt genau eine richtige Erklärung:
Weismachen wird immer mit einfachem s geschrieben.
Vielen Dank für die Antwort, aber ich hätte eine Erklärung dazu, einfach zu sagen wir machen das immer so, reicht mir nicht aus. Ich habe versucht, meine logische Schlussfolgerung zu erklären.