Warum werden in einigen Ländern systematisch Strafverfolgungen eingestellt?
Hallo,
Ihr habt es ja vielleicht mitgekriegt, in Frankreich wurde mit Hilfe von Sturmgewehren ein Gefangenentransport überfallen, zwei Wärter der Eskorte kaltblütig erschossen und so konnte Mohamed Amra, alias La Mouche (die Fliege) zur Flucht verholfen werden.
Ich lese jetzt dass Amra im Alter von 11 bis 14 Jahren in 19 Fällen einer Straftat bezichtigt wurde und die Verfahren wurden jedes einzelne Mal eingestellt. Klar, der Verdächtige war damals sehr jung, aber mir fällt es schwer zu glauben (auch wenn es natürlich die Unschuldsvermutung gibt) dass er da tatsächlich 19 Mal unschuldig war, besonders da er zwischen seinem 15ten Lebensjahr und seinem 30sten Lebensjahr insgesamt 13 mal rechtskräftig verurteilt wurde.
Kommt der Staat seiner hoheitlichen Aufgabe Straftaten zu verfolgen überhaupt noch nach? Ich meine, wird reden ja nicht von 19 Freisprüchen, sondern 19mal war der damalige Jugendliche verdächtigt und das Verfahren wurde eingestellt...
Hier noch ein Link für die, die es interessiert:
Ich freue mich auf eure Meinungen.
LG
4 Antworten
In Deutschland werden Verfahren gegen unter 14 Jährige nicht mal eröffnet. Und wenn bei einer Emittlung gegen Unbekannt sich der Täter als unter 14 herausstellt, dann wird auch hier das Verfahren eingestellt.
Die Strafunmündigkeit (für die es in Frankreich kein spezifisches Alter gibt wie in Deutschland) bedeutet ja nur dass der Täter keine Strafe bekommt. Das bedeutet aber nicht dass man ein Verfahren unmittelbar einstellen muss.
Doch, genau das bedeutet es. Entweder kann Klage mit Erfolgsaussicht erhoben werden, oder das Verfahren wird eingestellt.
Das wäre in Deutschland identisch, da nun mal die Strafmündigkeit erst mit 14 Jahren beginnt.
Das ist richtig. Wenn der Staat aber ein strafrechtliches Urteil erlangt, dann ist es für das Opfer wesentlich einfacher zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen, da bereits das strafrechtliche Urteil die Sachlage klärt, ergo die Hürde der Beweislast ist quasi überwunden.
Es gibt kein strafrechtliches Urteil, wenn der Junge 8 oder 13 ist. Und 60 Euro Schwarzfahrt-Geld wahrscheinlich ebenfalls nicht.
Die 60 Euro sind eine zivilrechtliche Forderung und diese kann ab 7 Jahren eingeklagt werden.
Der Staat und das Strafrecht sind nicht dafür da, die Erlangung zivilrechtlicher Ansprüche zu erleichtern.
Ich finde schon. Der Staat hat das Monopol für die Sicherheit und die Verpflichtung die Sicherheit zu garantieren. Man kann die Auffassung vertreten, dass bei jeder Straftat die passiert, der Staat dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist. Dann sollte er zumindest zur Aufklärung beitragen und die Opfer dabei unterstützen ihre Ansprüche geltend zu machen.
Die Strafunmündigkeit (für die es in Frankreich kein spezifisches Alter gibt wie in Deutschland) bedeutet ja nur dass der Täter keine Strafe bekommt. Das bedeutet aber nicht dass man ein Verfahren unmittelbar einstellen muss.
Das ist schlicht falsch. Die Reglung ist eindeutig: Es darf kein Verfahren eröffnet werden und wird der Umstand nach Eröffnung eines Verfahrens bekannt ist dieses sofort ein zu stellen. Ich verstehe nicht was du da diskutieren willst. Die Sachlage ist eindeutig.
Auch die zivilrechtliche Forderung ist aber an Voraussetzungen geknüpft, die nicht zwangsläufig erfüllt sind, umso weniger bei einem 7-Jährigen.
Irgendwo im Prinzip schon. Schon allein zum Beispiel aufgrund des Gewaltmonopols. Der Staat untersagt Selbstjustiz und muss dafür im Gegenzug selbst Strukturen zur Verfügung stellen, um zivilrechtliche Ansprüche durchzusetzen.
Die Strukturen gibt es in Form von Gerichten und Zivilklagen.
Dann ist es evident falsch, zu sagen, der Staat sei nicht dafür da. Und die Strukturen gibt es nicht nur in Form von Gerichten und Zivilklagen, sondern unter anderem auch in Form des Strafrechts.
Du liegst falsch. Das Strafrecht ist nicht dazu da, dem Bürger zu Schadenersatz oder Schmerzensgeld zu verhelfen. Es dient einzig und allein der Durchsetzung des positiven Rechts und der Durchsetzung des Strafanspruch des Staates. Da geht es Staat gegen Bürger. Bei Schadenersatz/Schmerzensgeld geht es Bürger gegen Bürger.
Der Staat hat Zivilrecht, BGB und Gerichte geschaffen, die sich dieser Sachen annehmen.
So ist die Architektur des deutschen Rechtssystems.
Es ist richtig, dass eine strafrechtliche Verurteilung den Zivilprozess abkürzen kann, muss sie aber nicht.
Auch die zivilrechtliche Forderung ist aber an Voraussetzungen geknüpft, die nicht zwangsläufig erfüllt sind, umso weniger bei einem 7-Jährigen.
Was hat das mit dem Thema Straftat/Anzeige zu tun? Es muss immer geklärt werden, ob die Person Täter/Schuldner ist.
Worüber reden wir hier? Natürlich kann die den Prozess abkürzen und auch ganz entbehrlich machen. Und das Strafrecht greift dem Schadensersatz und Schmerzensgeld unter Umständen schlicht schon vor, indem es Menschen davon abhält, straffällig zu werden. Was du schreibst, klingt ein bisschen so, wie man es wahrscheinlich in der Schule beigebracht bekommt, um quasi erstmals eine Vorstellung zu bekommen, wie das Recht aufgebaut ist. Aber im Detail stimmt es ja nun mal doch nicht, dass man im Strafprozess keinen Schadensersatz oder Schmerzensgeld bekommen könnte.
Aber mein Punkt war eigentlich nur, dass vor allem deine Aussage, der Staat wäre nicht dafür zuständig, nicht zutrifft, und nur darüber hinaus finde ich die Aussage auch bezogen auf das Strafrecht zu pauschal.
Du hattest geschrieben, der 8-Jährige würde 60 Euro fürs Schwarzfahren zahlen müssen, aber das ist halt so allgemein nicht richtig.
Keine Panik, in der Richtung kenne ich nicht nur Schule. Ich habe mehrfach im Adhäsionsverfahren selbst Schmerzensgeld erhalten.
Ich bleibe bei der Aussage, dass das Strafrecht nicht dazu geschaffen worden ist, Schadenersatz und Schmerzensgeld zu erlangen. Dazu dient das Zivilrecht. Punkt
Ich weiß, bei Polizisten ist das eine übliche Sache. Unabhängig von deinem Kenntnisstand waren das so Sätze, mit denen man das Thema auf einfache Nenner herunterbrechen kann. Dass das Strafrecht primär dem Strafanspruch des Staates dient, geschenkt, natürlich ist das richtig. Das Fass, warum der Staat wiederum überhaupt seinen Strafanspruch stellt und durchsetzt, können wir gern zu lassen.
In dem Alter war er halt nicht strafmündig. Ist in Deutschland auch so. Ob es sinnvoll ist, Kinder strafrechtlich zu verfolgen, darüber kann man sicher streiten. Ich glaube, dass es bessere Methoden geben muss.
Ob im von dir beschriebenen Fall ein Knastaufenthalt mit 12 die weitere kriminelle Laufbahn verhindert hätte, will ich mal dahingestellt sein lassen. Spätere Verurteilungen haben sie augenscheinlich nicht verhindert.
In Frankreich gibt es kein spezifisches Alter für die Strafmündigkeit. Entscheidend ist ob der Minderjährige fähig ist zu verstehen dass das was er tut nicht richtig ist. Bei 19 Fällen innerhalb von 3 Jahren könnte man ja mal davon ausgehen. Aber unabhängig davon finde ich es halt schlimm dass der Staat scheinbar aufgrund des Alters die Straftaten einfach nicht verfolgt.
Ich lese jetzt dass Amra im Alter von 11 bis 14 Jahren in 19 Fällen einer Straftat bezichtigt wurde und die Verfahren wurden jedes einzelne Mal eingestellt.
Und jetzt? Wären sie in Deutschland bis 14 auch. Fehlende Strafmündigkeit stellt ein Absolutes Verfahrenshindernis da. Das Verfahren ist bei bekanntwerden des Umstandes sofort ein zu stellen.
Das heißt nicht dass es keine Maßnahmen z.b. durch das Jugendamt gibt. Aber ein Strafverfahren ist eben ausgeschlossen.
aber mir fällt es schwer zu glauben (auch wenn es natürlich die Unschuldsvermutung gibt) dass er da tatsächlich 19 Mal unschuldig war,
noch mal: Fehlende Strafmündigkeit. Es ist völlig irrelevant ob er die Taten begangen hat oder nicht.
In Frankreich gibt es kein festes Alter für Strafunmündigkeit. Unabhängig davon finde ich es einfach nur grob fahrlässig wenn Straftaten bis zu einem gewissen Alter ausnahmslos toleriert werden.... Wenn der Staat sich weigert einzuschreiten, was sollen Betroffene und Opfer dann tun?
Unabhängig davon finde ich es einfach nur grob fahrlässig wenn Straftaten bis zu einem gewissen Alter ausnahmslos toleriert werden...
du verwechselst Tolerieren und Strafrechtlich nicht Ahnden. Ich habe doch extra gesagt dass es durch aus Maßnahmen geben kann. Aber die kommen eben aus dem Bereich der Jugendhilfe. Nicht aus dem Strafrechtlichen bereich.
Die Strafunmündigkeit (für die es in Frankreich kein spezifisches Alter gibt wie in Deutschland) bedeutet ja nur dass der Täter keine Strafe bekommt. Das bedeutet aber nicht dass man ein Verfahren unmittelbar einstellen muss. Dass das auch noch ab und zu getan wird leuchtet mir ein, aber bei ein und der selben Person werden 19 von 19 Verfahren eingestellt? Das verhindert es darüber hinaus (oder erschwert es) für die Opfer ihre zivilrechtlichen Ansprüche geltend zu machen.