Blickwechsel 01. September 2019
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War Nietzsche Antisemit?

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Aus der Rheinischen Post...

Hundert Jahre nach seinem Tod wird das Werk Friedrich Nietzsches immer noch mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Hat sein "Übermensch" etwas mit dem nationalsozialistischen Typus des Herrenmenschen gemein? Im Rahmen eines Volkshochschul-Vortrages ging Dr. Helmut Blochwitz jetzt detailliert den Verdächtigungen auf den Grund, denen Nietzsche nachhaltig ausgesetzt ist. Der Referent gab Entwarnung - Nietzsche habe zwar zeitweilig rassistisch gedacht, dieses Gedankengut durchdringe aber keineswegs sein Werk.

Auch Bloch und Adorno - beide Juden - hätten den umstrittenen philosophischen Dichter in diesem Punkt immer verteidigt. Nietsche sei, so Dr. Blochwitz vor einem interessierten Publikum - "gegen die Verkleinerung des Menschen" gewesen. Ihm sei es um den authentischen, nicht aber um den brutalen Menschen gegangen. Hat er den faschistischen Krieg erahnen können? Bei "Also sprach Zarathustra" wird schließlich der Friede als sinnvolle Zeit beschrieben, um einen neuen Krieg zu entfachen. Und auf der Titelseite des "Spiegel" aus dem jahr 1981 wurden der Täter Hitler und der Denker Nietzsche als siamesische Zwillinge dargestellt.

Dr. Blochwitz konnte sich dem negativen Nietzsche-Bild nicht anschließen. Hat er die Rassen-These nicht vorweg genommen? "Er hat immer alles vorweg genommen - eine Merkwürdigkeit", so der Referent, dem auch aufgefallen war, dass Nietzsche sich zwar abfällig über Juden geäußert habe. Dr. Blochwitz relativierte diese Äußerungen: "Nietzsche hat sich auch über die Deutschen, die katholischen Priester und andere abfällig geäußert - die Juden kommen vergleichsweise gut weg." Es gebe sogar Quellen, wo Nietzsche der jüdischen Rasse einen hohen Stellenwert beigemessen habe. Antisemiten habe er zweifellos verabscheut.

Allerdings dürfe man nicht übersehen, dass Nietzsche polarisiert habe, wo er nur konnte - und er ging sehr sparsam mit positiven Urteilen um. Heute werde Nietzsche oft im Zusammenhang mit den sich eröffnenden gentechnischen Möglichkeiten in Verbindung gebracht, dabei habe er den Begriff "Züchtung" nie im biologischen, sondern stets im erzieherischen Sinne gebraucht. Für ihn war der Übermensch jemand, der über mehr Fähigkeiten verfügt als andere. Dies sei besonders vor dem Hintergrund seiner These vom Tod Gottes zu verstehen, wobei der Begriff "Gott" nicht eng ausgelegt werden dürfe, stehe er doch als Inbegriff aller metaphysischer Ideen.

Der Mensch müsse ohne diese metaphysischen Wertorientierungen den Grund seiner Existenz durch eigene Werte selber schaffen. Dr. Helmut Blochwitz analysierte den "Übermenschen" in Nietzsches Werk "Also sprach Zarathustra": Er sei als "Antibürger schlechthin" zu verstehen - jemand, der sich hervorhebt, alles riskiert, ein souveräner Mensch, denn nur als Selbstüberwinder strahle der Mensch in seiner ganzen Schönheit. Dr. Blochwitz kam zu folgendem Schluss: "Was immer dieser Übermensch verkörpern mag, einen Herrenmenschen kann ich in ihm nicht entdecken."

Das tiefe Leiden an der Welt, die Tatsache, dass Nietzsche schüchtern, höflich und rücksichtsvoll war, mache ihn sympathisch. Der am 25. August 1900 Verstorbene dürfe nicht mit einem Etikett belegt werden: "Ich sehe nicht, wie die Nazis eine Verbindung zu Nietzsche herstellen konnten." Er sei "nicht politisch" gewesen und habe "nichts mit blonden Bestien am Hut gehabt".

https://rp-online.de/nrw/staedte/kaarst/auf-nietzsche-faellt-immer-noch-der-verdacht-des-rassismus_aid-8235655

Edit: Und hier noch ein kurzes Erklär-Video von Doktor Christian Weilmeier über 'Der Übermensch':

https://www.youtube.com/watch?v=kysG6A3jeAU