Kann es einen Brexit geben und ist es möglich eine befriedigende Lösung für das Nordirland Problem ohne ein Einfallstor in den EU-Binnenmarkt zu finden?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Momentan ist der Inhalt des neuen Nordirland-Deals folgender - siehe unten. Ober dieser allerding in der bestehenden Form Zustimmung seitens des britischen Parlaments findet, bleibt abzuwarten.

Die Europäische Kommission hat auf Verhandlungsebene mit dem Vereinigten Königreich eine Einigung über ein überarbeitetes Protokoll zum Thema Irland / Nordirland sowie eine Einigung über eine überarbeitete politische Erklärung zum Rahmen der künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien erzielt. Das überarbeitete Protokoll bietet eine rechtlich wirksame Lösung, die eine harte Grenze auf der irischen Insel vermeidet, die Wirtschaft auf der Insel sowie das Karfreitagsabkommen (Belfast) schützt und die Integrität des EU-Binnenmarktes gewährleistet. Nordirland wird sich weiterhin an eine Reihe von EU-Binnenmarktvorschriften halten. Mit dem heutigen Protokoll wird auch jede Zollgrenze auf der irischen Insel vermieden und gleichzeitig sichergestellt, dass Nordirland Teil des Zollgebiets des Vereinigten Königreichs bleibt. Die Northern Ireland Assembly (nordirische Volksvertretung) wird eine entscheidende Stimme bei der langfristigen Anwendung des einschlägigen EU-Rechts in Nordirland haben. Die wichtigste Änderung der politischen Erklärung betrifft die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien. Die Politische Erklärung bekräftigt das Ziel, ein Freihandelsabkommen, das von Zöllen absieht und Kontingente zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich vorsieht, abzuschließen.

Wenn Großbritannien und das Europäische Parlament diesem Deal zustimmt, dann ist der Backstop in der bislang bestehenden Form vom Tisch.

Wird Nordirland im EU-Binnenmarkt für Waren bleiben?

Nordirland wird sich weiterhin an eine Reihe der EU-Binnenmarktvorschriften halten. Darunter fallen Rechtsvorschriften für Waren, Hygienevorschriften für Veterinärkontrollen, Vorschriften für die landwirtschaftliche Produktion / Marketing, Mehrwertsteuer und Verbrauchssteuern auf Waren sowie Vorschriften für staatliche Beihilfen.

Wie kann Nordirland aus der EU-Zollunion austreten und dennoch eine Zollgrenze auf der irischen Insel vermeiden?

Nordirland gehört weiterhin zum Zollgebiet des Vereinigten Königreichs. Es wird daher in den Genuss künftiger Freihandelsabkommen kommen, die das Vereinigte Königreich mit Drittländern abschließt. Zukünftige Freihandelsabkommen können z. B. beinhalten, dass Waren, die in Nordirland hergestellt werden zu genau den gleichen Bedingungen wie Waren, die in anderen Teilen des Vereinigten Königreichs hergestellt werden, in Drittländer ausgeführt werden können. Der Unions-Zollkodex gilt für alle Waren, die nach Nordirland eingeführt werden. Dadurch werden Zollkontrollen auf der irischen Insel vermieden.

Was die Zölle betrifft, so gelten die EU-Zölle für Waren, die nach Nordirland eingeführt werden, wenn die Gefahr besteht, das diese Waren in den EU-Binnenmarkt gelangen. Es werden jedoch keine Zölle erhoben, wenn Waren aus dem übrigen Vereinigten Königreich nach Nordirland eingeführt werden, sofern keine Gefahr besteht, dass sie in den EU-Binnenmarkt gelangen.

Dies gilt für alle Waren, die nicht weiterverarbeitet werden und die die Kriterien erfüllen, die das Joint Committee festlegen wird, um das Risiko einer Weiterverbringung zu ermitteln. Für Waren aus Drittländern, die nicht mit dem Risiko der Weiterverbringung behaftet sind, gelten in Nordirland die gleichen Zölle wie in den anderen Teilen des Vereinigten Königreichs. Diese Kriterien sollen bis Ende der Übergangszeit festgelegt werden.

Das Vereinigte Königreich kann die nach dem Unionsrecht erhobenen Zölle erstatten, wenn der britische Zoll niedriger ist, vorbehaltlich angemessener Schutzmaßnahmen für die ordnungsgemäße Anwendung der EU-Beihilfevorschriften. Für eine Reihe von Sonderfällen, wie z.B. die Verbringung von persönlichem Eigentum, Sendungen von geringem Wert oder Sendungen von einer Privatperson zu einer anderen, werden keine Zölle erhoben.

Muss Nordirland die Vereinbarung dauerhaft akzeptieren?

Die EU sowie Großbritannien haben sich über eine Vereinbarung mit Zustimmung (consent mechanism) geeinigt. Die Themen: Anpassung der Vorschriften zum Waren- und Zollverkehr, Elektrizitäts-Binnemarkt, Mehrwertsteuer und staatliche Beihilfen.

Nordirland kann mit einfacher Mehrheit, vier Jahre nach Ablauf der Übergangszeit darüber abstimmen, ob das einschlägige EU-Recht aus der Vereinbarung auch weiterhin angewandt werden soll oder nicht. Entscheidet sich Nordirland dagegen, wird Großbritannien die EU darüber informieren. In einem solchen Fall gilt die Vereinbarung zwei Jahre später nicht mehr. Nach Ablauf der Übergangszeit kann Nordirland alle vier Jahre über die weitere Anwendung des EU-Rechts abstimmen. Wird bei der Abstimmung für eine weitere Anwendung des EU-Rechts gestimmt, findet die nächste Abstimmung erst acht Jahre später statt.

Was ist mit der Mehrwertsteuer?

Nordirland bleibt Teil des britischen Mehrwertsteuer-Raumes, wobei die britische Steuer- und Zollbehörde HMRC (Her Majesty's Revenue and Customs) auch weiterhin für die Anwendung der Mehrwertsteuer-Vorschriften, einschließlich der Erhebung der Mehrwertsteuer und die Festlegung der Mehrwertsteuer-Sätze zuständig ist. Großbritannien wird die Einnahmen aus dieser Steuer behalten.

Um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden und gleichzeitig die Integrität des EU-Binnenmarkts zu schützen, werden die Mehrwertsteuervorschriften der EU für Waren in Nordirland weiterhin gelten. Darüber hinaus können in Irland geltende Mehrwertsteuerbefreiungen und ermäßigte Steuersätze auch in Nordirland angewandt werden, um eine Verzerrung des Wettbewerbs zu vermeiden. Nordirland kann weiterhin das VIES-System (VAT Information Exchange System = Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem) der EU betreiben und Daten mit Irland und anderen Mitgliedstaaten austauschen.

Aktuelle Infos zum Brexit findet Du auf unserer Internetseite:

https://www.evz.de/de/verbraucherthemen/der-brexit-und-seine-folgen-fuer-verbraucher/

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
Kopfleer 
Fragesteller
 29.10.2019, 17:13

Vielen Dank. Und ich dachte schon, es wird kompliziert. Ich bin gespannt, wie sich dieses theoretische Konstrukt dann in die Praxis umsetzen lässt.

Schade, dass Sie nicht auch auf die für Deutschland so wichtige Veränderung der Sperrminorität im EU Ministerrat eingegangen sind. Gibt es da überhaupt keine Pläne? Das ist ja schon grundsätzlich elementar für die Machtverhältnisse in der EU.

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EVZDeutschland  29.10.2019, 20:54
@Kopfleer

Wie Du ja weißt, werden gemäß des Lissaboner Vertrages seit 2017 EU-Beschlüsse mit der so genannten doppelten Mehrheit gefasst. Das heißt: 55 Prozent der 28 Mitgliedsländer müssen zustimmen. Das sind 15 Mitgliedsländer. Das macht 65 Prozent der Bevölkerung.  

Die Sperrminorität soll ja verhindern, dass große Minderheiten einfach so überstimmt werden: Also müssen es mindestens 4 Mitgliedsländer sein, die zusammen mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung stellen. Das war bislang mit Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Niederlande und Österreich möglich. Nach dem Brexit fällt Großbritannien weg. Und dann funktioniert das nicht mehr. Das heißt, dass sich Deutschland neue Partner suchen muss, um auf den Prozentsatz zu kommen. Ich habe leider nichts gefunden, wie Deutschland sich diesbezüglich künftig verhalten möchte oder wer ggfs. ein neuer Partner werden könnte. Auch zur Frage, ob die EU etwas am Abstimmungsprocedere ändern wird, ist mir nicht bekannt.

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Kopfleer 
Fragesteller
 29.10.2019, 21:09
@EVZDeutschland

Vielen Dank für Ihre Mühen.

Das ist ja zumindest bitter, wenn nicht, sogar brandgefährlich. Wenn ich da nur an einen gemeinsamen Einlagensicherungsfond denke, Bankenunion, Missbrauch des ESM, QE-Programme und "Helikoptergeld" der EZB und mir dann die Abstimmungsergebnisse dazu vorstelle, komme ich in eine existenzielle Krise.

Wäre es vielleicht nicht vielleicht doch das kleinere Übel gewesen, den Briten in Sachen Personenfreizügigkeit oder auch der Teilung der Sozialleistungen in Länderspezifische Mindestgrundsicherung und erarbeitete Absicherung aufzuteilen? Das hätte sicher gereicht, um sie in der Union zu halten. Das sind doch Fragen, die wir uns auch in der EU gefallen lassen müssen.

Stattdessen diese Statuierung eines Exempels "ohne Rosinenpickerei", damit auch ja kein anderer wagt, es zu versuchen...

Ich hoffe weiterhin auf ein Wunder, dass die Umstände alle Parteien vielleicht doch noch einmal dazu bewegen, die ganze Sache zu Überdenken.

Mit freundlichen Grüßen

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ich will mich kurz fassen: NEIN es kann und wird nicht funktionieren.

Entweder man bleibt in der Zollunio, oder man trifft Freihandelsabkommen mit der EU wie Norwegen oder die Schweiz. Auch die Freizügigkeit lässt sich nicht abschaffen oder einschränken, wenn man eine Grenze unkontrolliert lässt. Das wird England nicht wollen, und auch nicht die EU.

Oder man hat eine harte Grenze in Irland.

Oder man lässt Irland auf ewig in der EU Zollunion, und hat die harte Grenze zwischen Irland und der britischen Insel.

Aber ein bisschen schwanger geht nicht !

Alles andere wird keine langen Bestand haben, das es unkontrollierte Freizonen schafft, die für Steuerhinterziehung im grossen Stil genutzt werden könnten, und für legale aber nicht EU konforme Importe die dann über die Republik Irland nach Europa kommen.

Kopfleer 
Fragesteller
 29.10.2019, 17:28

Danke. Das befürchte ich auch.

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Ein Verschwörungstheoretiker würde wahrscheinlich sagen:"Dies alles ist nur eine Theaterinszenierung".Viele Darsteller wissen überhaupt nicht dass sie mitspielen. Ziel ist es der Masse dazu bewegen,den Gürtel enger zu schnallen.Weniger Wohlstand dafür mehr Aktivität der Masse unter geringeren finanziellen Besitz .Kriege können keine mehr geführt werden wegen der Atombombe.Es würden ja auch alle Eliten dieser Welt mit zu Grunde gehn,weil es keinen oder nur nur mäßigen Schutz gibt.Dies würde der Verschwörungstheoretiker vielleicht sagen.Meine Meinung, auf Grund von Lebenssituationen der Vergangenheit:Es wird zu einem Bexit kommen,aber dieser wird den Namen nicht verdienen,weil dies alles Wischi Waschi ist.Weder Engländer noch sonstige Europäer bringt dies ein Vorteil.Das Nationalgefühl wird vorübergehend gestärkt,bis man gemerkt, hat dass dies alles kalter Kaffee ist

Ja es ist fast erledigt, wenn Johnson die Wahlen am 12.12 gewinnt.

ChainsawBobo  29.10.2019, 17:54

Bojo der Wunderclown bekommt seinen Deal NIEMALS durch das Parlament, selbst wenn er die absolute Mehrheit gewinnt. Allein schon, weil die ERG einen No-Deal will und keinem wie auch immer gearteten Deal zustimmen wird.

Außerdem bin ich mir sicher, daß sich in dem Deal noch die eine oder andere Kröte befindet, die auch nicht alle Tories schlucken werden. Von der offensichtlichen Kröte mal ganz abgesehen: Eine Grenze mitten im Land. Wenn man von NI nach GB möchte, muß man seinen Paß vorzeigen, Zoll bezahlen, alles so als wenn man eine Landesgrenze überschreitet.

Das wird schwer zu verkaufen sein. Es gab schon einen Grund warum BoJo das Gesetz in Rekordzeit durch das House of Commons prügeln wollte.

Aber abgesehen davon ist es eher wahrscheinlich daß die Tories nicht die absolute Mehrheit bekommen und sich dann mit einen anderen Partei arrangieren müssen. Und da ist dann Chaos vorprogrammiert.

Brexit wird die Unendliche Geschichte bleiben, die wir alle kenne und lieben. Solange bis die EU27 keinen Bock mehr hat und die UK rausschmeißt. Aus eigener Kraft schafft UK den Brexit nicht.

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