Wie schon mehrere schrieben: mit 23 bist du blutjung. Und es gibt viele, die aus den verschiedensten Gründen erst Mitte 20 zum ersten Mal ausbildungsmäßig richtig „loslegen“.
Allerdings: da du erst 23 bist, liegen die Tode deiner Eltern auch erst einige Jahre zurück. Du schreibst zwar selbst, dass du es soweit mittlerweile verarbeitet hast, aber mich würde es nicht wundern, wenn du das noch eben nicht hast. Du hast dich wahrscheinlich an die neue Situation gewöhnt, aber das ist nicht gleichbedeutend mit „darüber hinweg sein“.
Jedenfalls, ich an deiner Stelle würde das Abitur jetzt nachholen. Unter anderem, weil es deine beruflichen Chancen erhöht, schon alleine damit die Lücke nicht das letzte ist, was in deinem Lebenslauf steht. Wenn nach dieser Lücke nämlich eine erfolgreiche Station steht, ist das für Personaler ein Hinweis „Aha, er hat sich da wieder rausgezogen aus dem Sumpf“. Außerdem glaube ich, dass du mit dem bestandenen Abitur das Trauma nämlich auch ein Stück weit zu einem Abschluss bringen würdest. Und nicht zuletzt glaube ich, dass du dein ursprünglichen Träume immer noch verwirklichen könntest.
Dein allergrößtes Problem sind meiner Meinung nach die immensen Schulden. Leider kenne ich mich damit überhaupt nicht aus und kann deshalb keine Tipps geben. Nimm die Schuldnerberatung wahr, lass dich beraten, versuch da raus zu kommen.
Und zum Schluss noch ein Kommentar zu:
Komm klar, wie willst du deine Zukunft überstehen?
So sehr ich auch finde, dass der Satz sehr unangebracht und grob ist speziell gegenüber einem Minderjährigen, der gerade Halbwaise geworden ist, so komme ich trotzdem nicht umhin zu denken: „Joah, stimmt.“ Die Gläubiger, denen gegenüber du jetzt Schulden hast, nehmen ja auch keine Rücksicht darauf, dass du, jetzt sogar Vollwaise, nicht einmal derjenige bist, der die Schulden überhaupt gemacht hat. Du schreibst selbst, die Personaler in den Ausbildungsbetrieben nehmen ja auch keine Rücksicht. Auch der Gesetzgeber nahm ja keine Rücksicht darauf, dass du gerade mal Volljähriger nicht wusstest, realistischerweise kaum wissen konntest, welche Folgen die Annahme des Erbes haben würde (was übrigens so mancher deutlich Älterer auch nicht gewusst hätte). Tatsächlich sind das Leben und die Gesellschaft, selbst in einem Land wie Deutschland, erstaunlich unbarmherzig, wenn man aus irgendwelchen Gründen unter eine gewisse Linie gerutscht ist, die unterhalb der Oberfläche von vielen sozialen und wirtschaftlichen „Auffangnetzen“ liegt. Insofern denke auch ich heute über so manchen „harten“ Satz von früher heute anders, nämlich dass derjenige, der ihn mir damals gesagt hatte, es in Wahrheit gut mit mir meinte und nur im Gegensatz zu mir schon wusste, dass es im Leben noch viel, viel schlimmer kommen kann.