Wie wende ich Kant auf dem Fall Jakob von Metzler an?

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Die Grundsätze von Handlungen und denkbaren Handlungen können in Bezug auf die von Kant vertretene Ethik daraufhin geprüft werden, ob sie gut oder schlecht sind. Immanuel Kant hat dazu den kategorischen Imperativ aufgestellt, wobei dieser neben der Formel mit dem allgemeinen Gesetz auch als Selbstzweckformel/Menschheitszweckformel (einen Menschen nicht als bloßes Mittel zum beliebigen Gebrauch behandeln, sondern immer zugleich auch als Zweck an sich selbst) formuliert ist.

A) Handeln des Täters

Das Handeln des Täters ist eindeutig schlecht und steht im Gegensatz zum kategorischen Imperativ. Die verbrecherischen Taten können nicht als allgemeines Verhaltensmuster gewollt werden. Jeder dürfte dann mit dem Täter ebenso verfahren, was mit dem Wusch nach einem angenehmen Leben mit viel Geld in Widerspruch steht. Entführung, Tötung und Lösegeldforderung stehen auch zum Gedanken der Würde des München , wie er in der Selbstzweckformel/Menschheitszweckformel enthalten ist, in Widerspruch.

Immanuel Kant tritt für die Todesstrafe bei Mord ein, nicht bei allen denkbaren anderen Straftaten.

Kant lehnt, ohne präventive (durch Abschreckung vorbeugende) Zwecke und Wirkungen auszuschließen, Strafe als bloßes Mittel zur Erfüllung eines Zwecks ab. Eine Strafe, die sich nicht im Wiedervergeltungsrecht begründen läßt, hält er für ungerecht und verboten. Strafe ist nach seiner Auffassung nur unter den Gesichtspunkt der Gerechtigkeit zu rechtfertigen. Für Mord hält Kant die Todesstrafe für notwendig, als der Schlechtigkeit des Verbrechers entsprechend (Der Gedanke der Würde des Menschen steht tatsächlich zur Befürwortung der Todesstrafe in Spannung, weil ein Straftäter eine Person bleibt, die auch Zweck an sich selbst ist. Von daher ist eine Argumentation gegen die Todesstrafe möglich.)s.

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797). Erster Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Der Rechtslehre Zweiter Theil. Das öffentliche Recht. Erster Abschnitt. Das Staatsrecht. § 49. Allgemeine Anmerkung von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins. E. Vom Straf- und Begnadigungsrecht. AA VI, 331 – 332:

Richterliche Strafe (poena forensis), die von der natürlichen (poena naturalis), dadurch das Laster sich selbst bestraft und auf welche der Gesetzgeber gar nicht Rücksicht nimmt, verschieden, kann niemals bloß als Mittel, ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines Anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborne Persönlichkeit schützt, ob er gleich die bürgerliche einzubüßen gar wohl verurteilt werden kann. Er muß vorher strafbar befunden sein, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einigen Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen. Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ, und, wehe dem! welcher die Schlangenwindungen der Glückseligkeitslehre durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durch den Vorteil, den es verspricht, ihn von der Strafe, oder auch nur einem Grade derselben entbinde, nach dem pharisäischen Wahlspruch: „es ist besser, daß ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk verderbe“; denn, wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben. – Was soll man also von dem Vorschlage halten: einem Verbrecher auf den Tod das Leben zu erhalten, wenn er sich dazu verstände, an sich gefährliche Experimente machen zu lassen, und so glücklich wäre, gut durchzukommen; damit die Ärzte dadurch eine neue, dem gemeinen Wesen ersprießliche, Belehrung erhielten? Ein Gerichtshof würde das medizinische Collegium, das diesen Vorschlag täte, mit Verachtung abweisen; denn die Gerechtigkeit hört auf, eine zu sein, wenn sie sich für irgend einen Preis weggiebt.

Welche Art aber und welcher Grad der Bestrafung ist es, welche die öffentliche Gerechtigkeit sich zum Prinzip und Richtmaße macht? Kein anderes, als das Prinzip der Gleichheit (im Stande des Züngleins an der Wage der Gerechtigkeit), sich nicht mehr auf die eine, als auf die andere Seite hinzuneigen. Also: was für unverschuldetes Übel du einem anderen im Volk zufügst, das tust du dir selbst an. Beschimpfst du ihn, so beschimpfst du dich selbst; bestiehlst du ihn, so bestiehlst du dich selbst; schlägst du ihn, so schlägst du dich selbst; tötest du ihn, so tötest du dich selbst. Nur das Wiedervergeltungsrecht (ius talionis), aber, wohl zu verstehen, vor den Schranken des Gerichts (nicht in deinem Privaturteil), kann die Qualität und Quantität der Strafe bestimmt angeben; alle andere sind hin und her schwankend, und können, anderer sich einmischenden Rücksichten wegen, keine Angemessenheit mit dem Spruch der reinen und strengen Gerechtigkeit enthalten.“

AA VI, 333: „Hat er aber gemordet, so muß er sterben. Es gibt hier kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit. Es ist keine Gleichartigkeit zwischen einem noch so kummervollen Leben und dem Tode, also auch keine Gleichheit des Verbrechens und der Wiedervergeltung, als durch den am Thäter gerichtlich vollzogenen, doch von aller Mißhandlung, welche die Menschheit in der leidenden Person zum Scheusal machen könnte, befreieten Tod. – Selbst, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z.B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinander zu gehen, und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Thaten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat; weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.

Diese Gleichheit der Strafen, die allein durch die Erkenntnis des Richters auf den Tod, nach dem strengen Wiedervergeltungsrechte, möglich ist, offenbaret sich daran, daß dadurch allein proportionierlich mit der inneren Bösartigkeit der Verbrecher das Todesurteil über alle (selbst wenn es nicht einen Mord, sondern ein anderes nur mit dem Tode zu tilgendes Staatsverbrechen beträfe) ausgesprochen wird.“

AA VI, 334 – 335: „Hiegegen hat nun der Marchese Beccaria, aus theilnehmender Empfindelei einer affektierten Humanität (compassibilitas), seine Behauptung der Unrechtmäßigkeit aller Todesstrafe aufgestellt; weil sie im ursprünglichen bürgerlichen Vertrage nicht enthalten sein könnte; denn, da hätte jeder im Volk einwilligen müssen, sein Leben zu verlieren, wenn er etwa einen anderen (im Volk) ermordete; diese Einwilligung aber sei unmöglich, weil niemand über sein Leben disponieren könne. Alles Sophisterei und Rechtsverdrehung.

Strafe erleidet jemand nicht, weil er sie, sondern weil er eine strafbare Handlung gewollt hat; denn es ist keine Strafe, wenn einem geschieht, was er will, und es ist unmöglich, gestraft werden zu wollen. – Sagen: ich will gestraft werden, wenn ich jemand ermorde, heißt nichts mehr, als: ich unterwerfe mich samt allen übrigen den Gesetzen, welche natürlicherweise, wenn es Verbrecher im Volk gibt, auch Strafgesetze sein werden. Ich, als Mitgesetzgeber, der das Strafgesetz dictirt, kann unmöglich dieselbe Person sein, die, als Untertan, nach dem Gesetz bestraft wird; denn als ein solcher, nämlich als Verbrecher, kann ich unmöglich eine Stimme in der Gesetzgebung haben (der Gesetzgeber ist heilig). Wenn ich also ein Strafgesetz gegen mich, als einen Verbrecher, abfasse, so ist es in mir die reine rechtlich-gesetzgebende Vernunft (homo noumenon), die mich als einen des Verbrechens Fähigen, folglich als eine andere Person (homo phaenomenon), samt allen übrigen in einem Bürgerverein dem Strafgesetze unterwirft. Mit andern Worten: nicht das Volk (jeder einzelne in demselben), sondern das Gericht (die öffentliche Gerechtigkeit), mithin ein anderer als der Verbrecher, diktiert die Todesstrafe, und im Sozialkontrakt ist gar nicht das Versprechen enthalten, sich strafen zu lassen, und so über sich selbst und sein Leben zu disponieren. Denn, wenn der Befugnis zu strafen ein Versprechen des Missetäters zum Grunde liegen müßte, sich strafen lassen zu wollen, so müßte es diesem auch überlassen werden, sich straffällig zu finden, und der Verbrecher würde sein eigener Richter sein. – Der Hauptpunkt des Irrtums (πρωτον ψευδος) dieses Sophisms besteht darin: daß das eigene Urtheil des Verbrechers (das man seiner Vernunft notwendig zutrauen muß), des Lebens verlustig werden zu müssen, für einen Beschluß des Willens ansieht, es sich selbst zu nehmen, und so sich die Rechtsvollziehung mit der Rechtsbeurtheilung in einer und derselben Person vereinigt vorstellt.“

B) Konflikt zwischen Wahrung der Rechte des Verdächtigen und moralischer Verantwortung für das Leben des Kindes

Eine Bemühung darum, das Leben des Kindes zu retten, ist grundsätzlich richtig und geboten, dies rechtfertigt nach Kants Ethik aber nicht, die Menschenwürde des Verdächtigen zu ignorieren und seine Menschenrechte zu verletzen (z. B. mit Folter oder ihrer Androhung).

Anwendung von Kants Ethik auf einen Fall, im dem Folter bzw. Androhung von Folter überlegt wird

1) Beschreibung einer überlegten Handlungsweise

Ein Mensch ist entführt worden und sein Aufenthaltsort bisher nicht ermittelt. Der Entführer ist festgenommen worden. Er ist nicht bereit, eine Information zum Aufenthaltsort des Entführten zu geben. Jemand will dem Entführer Folter androhen bzw. - wenn die Drohung keine Aussage herbeiführt - ihn foltern (lassen), um Informationen zum Aufenthaltsort des Entführten zu bekommen und diesen möglichst zu retten.

2) Formulierung der Handlungsweise als allgemeiner Grundsatz (Maxime des Willens)

Wenn ein Mensch Kenntnis einer Information hat, die benötigt wird, um möglichst Leib und Leben von Menschen zu retten, zum Schutz eines Rechtsgutes helfend einzugreifen, aber nicht bereit ist, die Information zu geben, drohe ich diesem Menschen mit Folter bzw. foltere ihn/lasse ihn foltern.

3) Überprüfung dieses Grundsatzes auf widerspruchsfreie Verallgemeinerbarkeit zu einem Gesetz als einem Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft

Geprüft wird, ob die Maxime widerspruchsfrei als ein Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft sowohl gedacht als auch gewollt werden kann.

Sowohl Folter als auch schon Androhung von Folter achten nicht die Würde des Menschen. Eine massive Gewaltanwendung und Zufügung von starken Schmerzen bzw. die Drohung damit gebraucht einen Menschen als bloßes Mittel, um eine Information aus ihm herauszupressen. Die Person wird nicht mehr auch als Zweck an sich mit Selbstbestimmung behandelt. Die Würde des Menschen ist ein oberster Grundsatz, auf ihr beruhen Menschenrechte. Eine Absicht, Leib und Leben von Menschen zu retten, zum Schutz eines Rechtsgutes helfend einzugreifen, hat in der Würde des Menschen eine Grundlage. Würde als zu schützenden obersten Grundsatz zu haben, aber die Würde auch zu verletzen, ist ein Widerspruch.

Die Maxime ist nicht in Übereinstimmung mit dem kategorischen Imperativ.

Es ist richtig, sich um Hilfe für Entführungsopfer zu bemühen. Deren Menschenwürde wird durch eine Entführung verletzt, aber von jemand anderen. Mit der Folter als Mittel, um Informationen zu bekommen, verletzt ein Handelnder selbst die Würde. Ein Zulassen einer vom eigenen Handeln ausgeführten Verletzung der Würde würde auch eine Aufhebung der Rechtsstaatlichkeit bedeuten.

In Kants Ethik gibt es feste Prinzipien, die grundsätzliche Schranken aufstellen. Ein Prinzip wie die Würde gilt unbedingt, unter allen Umständen. Ihre Achtung ist Pflicht. Die Würde darf nicht in einer Abwägung zugunsten erhoffter Vorteile preisgegeben werden. Sie ist nicht auf eine solche Weise verrechenbar.

Kants Ethik unterscheidet sich darin von Ethiken mit einem Konsequentialismus, bei denen die Folgen einer Handlung für ihre Beurteilung maßgebend sind. Der Utilitarismus ist ein Haupttyp des Konsequentialismus. Beim Utilitarismus kommt es auf die Nützlichkeit an. Richtig ist die Handlung, bei der in der Gesamtbilanz des Nutzens und Schadens für alle Betroffenen das günstigste Ergebnis zu erwarten ist.