Könnte ein fast lichtschnelles Raumschiff noch einen Laserstrahl abgeben?

8 Antworten

Hallo JWDHF,

die Physik, die wir als erstes lernen, heißt NEWTONsche Mechanik (kurz NM). Zwei ihrer Aussagen sind:

GALILEIs Relativitätsprinzip (kurz RP)

Geschwindigkeit ist relativ, d.h. Du brauchst einen Bezugskörper B, auf den sich Ort (= Position relativ zu B) und Geschwindigkeit (= zeitliche Änderungsrate des Ortes) beziehen. Mehr noch: Bewegt sich ein zweiter Körper B' mit konstanter 1D-Geschwindigkeit v (immer geradeaus) relativ zu B, kann man dasselbe Szenario auch so beschreiben, dass B' ruht und sich B mit -v (gleiches Tempo, entgegengesetzte Richtung) bewegt.

Die grundlegenden Beziehungen zwischen physikalischen Größen (nichts anderes sind Naturgesetze) – womit zunächst die Gesetze der Mechanik gemeint waren – bleiben bei dieser Uminterpretation gleich.

Deshalb merken wir auch nichts von der Bewegung der Erde im Sonnensystem mit 30 km⁄s und relativ zum Kosmischen Hintergrund (kurz CMB für engl. cosmic microwave background) mit satten 368 km⁄s (über 0,1% von c) nichts, es sei denn, wir gucken uns den CMB an und stellen fest, dass die Frequenzen aus einer bestimmten Richtung systematisch etwas höher und in die genau entgegengesetzte Richtung systematisch etwas niedriger sind.

Additivität von Geschwindigkeiten

Geschwindigkeiten addieren sich, d.h. wenn Du Dich relativ zu B' mit der 1D-Geschwindigkeit u in dieselbe Richtung bewegst, in die sich B' relativ zu B bewegt, bewegst Du Dich relativ zu B mit w = u + v.

Umgekehrt formuliert: Die Differenzgeschwindigkeit (Deine minus die von B') unter der Annahme, dass B ruht, ist in der NM dasselbe wie Deine Relativgeschwindigkeit (in Bezug auf B'), also Deine Geschwindigkeit unter der Annahme, dass B' ruht.

Spoileralarm: In der Speziellen Relativitätstheorie (SRT) sind das zwei verschiedene Dinge.

Lichtausbreitung laut NM

Über die Natur und Ausbreitung des Lichts gab es zwei gegensätzliche Auffassungen:

  • NEWTON selbst glaubte, dass Licht aus Korpuskeln bestehe, die sich mit c relativ zur Quelle bewegen.
  • Sein Zeitgenosse HUYGENS war der Meinung, dass Licht aus Wellen bestehe, die sich durch eine das ganze All erfüllende Supersubstanz namens Äther ausbreiten und relativ zum Äther das Tempo c haben.
Zum Szenario
Angenommen ein Raumschiff fliegt mit 99,999 % Lichtgeschwindigkeit...

Relativ zu einem anderen Raumschiff B, nehme ich an.

...und sendet einen Laserstrahl aus: Kriecht der im Schneckentempo vom Schiff weg?

Nun ja, ein Schneckentempo sind die zu c fehlenden 3 km⁄s nicht gerade. HUYGENS würde aber jedenfalls sagen, dass sich Licht von einem Raumschiff, das sich relativ zum Äther mit 0,99999c bewegt, nach vorn nur mit 3 km⁄s bewegt. Ein nach hinten abgegebener Lichtstrahl hätte nach HUYGENS relativ zum Raumschiff fast 2c.

Oder saust er mit Tempo "c" davon? Und wäre das dann nicht doppelte Lichtgeschwindigkeit?

Das würde NEWTON sagen. Relativ zu B würde sich nach seiner Theorie das Lichtsignal mit fast 2c bewegen.

Die Krise der Physik

Allerdings erwiesen sich beide Theorien im 19. und frühen 20. Jahrhundert als nicht haltbar:

Die Wellentheorie setzte sich schon Anfang des 19. Jahrhunderts durch, was später noch zementiert wurde: MAXWELL sagte die Existenz elektromagnetischer Wellen voraus, die sich mit c (relativ zum Äther, wie MAXWELL noch glaubte) ausbreiten. Er vermutete auch schon, dass Licht aus solchen Wellen bestehe.

Nun folgt die elektromagnetische Wellengleichung direkt aus MAXWELLs Grundgleichungen der Elektrodynamik, die natürlich auch Naturgesetze sind (und von denen der Mechanik nicht zu trennen, da elektromagnetische Felder Kräfte ausüben) und ist deshalb selbst ein Naturgesetz.

Sie scheint aber nicht dem RP zu unterliegen, da durch Messungen der Lichtgeschwindigkeit in verschiedene Richtungen nachweisbar sein sollte, welche Geschwindigkeit man relativ zum Äther hat.

Tatsächlich haben MICHELSON und MORLEY dies 1887 versucht und keine Abweichung vom RP gefunden.

-- Baustelle --

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – + Auseinandersetzung mit Gegnern der RT

JWDHF 
Fragesteller
 21.03.2024, 04:24

Ehrlich: Ich verstehe nur Bahnhof, meine Mathematik-Kennnisse sind auf dem Niveau Abitur/Elektrochemie, das reicht für die Formeln von Dir nicht mehr aus,.. aber danke für Deine Bemühungen. Fast schade, verstehe ich es nicht, Mathe ist schon eine spannende Sache, bin aber in meinem Leben "nur" Sozialarbeiter und Sportler geworden :-)

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SlowPhil  21.03.2024, 05:04
@JWDHF

Eigentlich habe ich kaum Mathematik da reingebracht. Wo liegt das Problem?

In jedem Fall empfiehlt es sich, sich etwas Mathematik anzueignen, denn Physik betreiben kann man nicht ohne, wenn man präzise Aussagen gewinnen will.

Ich werde die Antwort aber noch mal überarbeiten, wenn ich ausgeschlafener bin.

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SlowPhil  21.03.2024, 13:53
@JWDHF

Ich habe die Mathematik weitgehend rausgenommen. Ist der Text jetzt besser zu verstehen?

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Sowohl aus Sicht der Raumschiff-Besatzung als auch aus Sicht eines externen Beobachters hat dieser Strahl volle Lichtgeschwindigkeit.

das ist Galileische Geschwindigkeitssuperposition, die nur in Näherung für geringe Geschwindigkeiten v << c gilt.

Die sogenannte Lichtgeschwindigkeit ist die Geschwindigkeit, mit der Realität sich ausbreitet. Nichts was Ruhemasse* hat kann diese Geschwindigkeit erreichen, und nur weil Photonen keine Ruhemasse haben, haben sie diese Geschwindigkeit, daher der Name.

Der Name kommt auch daher, dass man früher glaubte, das Licht brauche ein absolut stationäres Medium, in dem sich elektromagnetische Wellen ausbreiten (so wie Schallwellen in Luft), den sog. Äther. Die Frage, woran so ein stationärer Äther räumlich festgemacht sei, führte zum Michelson-Morley Experiment, bei dem eigentlich erwartet wurde, dass mit der Geschwindigkeit der Erde durch den Äther unterschiedliche Geschwindigkeiten des Lichts in unterschiedliche Richtungen gemessen würden. Überraschung: kein Unterschied, also kein Äther (es sei denn er würde zufällig ausgerechnet an der Erde festgemacht sein). Daraus geht nicht nur hervor, dass es keinen Äther gibt, sondern dass diese Geschwindigkeit eine in allen Inertialsystemen gleiche Naturkonstante und damit nicht überholbar ist, denn wenn man versucht den Strahl einer Taschenlampe mit dem Auto zu überholen, ist er relativ zum Auto genauso schnell wie relativ zur Taschenlampe.

Erst hier setzt die spezielle Relativitätstheorie an, die mit recht einfacher Mathematik (Lorentz-Transformationen) darlegt, was das für Auswirkungen auf Zeiten und Längen (und auch die kinetische Energie*) in bewegten Systemen hat.

*) Kinetische Energie von Objekten mit Ruhemasse enthält einen Term der Lorentz-Transformation wie Zeiten und Längen. Wenn man ein Fahrzeug in die Nähe der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, geht mit wachsender Geschwindigkeit ein immer größerer Anteil der zugeführten Energie in immer weniger Geschwindigkeitszuwachs und lässt für den äußeren Beobachter das Fahrzeug immer träger erscheinen - die Lichtgeschwindigkeit wird nie erreicht.


JWDHF 
Fragesteller
 21.03.2024, 04:19

Danke für Deine spannende, lange Ausführung. Schon eine faszinierende Sache, diese Relativitätstheorie. Falls Du es nicht eh schon kennst: Hier gibt's ein geniales Echtzeit-Video von einem Künstler, wie "langsam" das Licht eigentlich im All unterwegs ist: https://vimeo.com/117815404

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  • Für jemanden im Raumschiff verhält sich das Licht ganz normal, es entfernt sich also mit c vom Raumschiff — nach einer Sekunde (gemessen von der Borduhr) ist es 300000 km weit weg.
  • Nehmen wir an, das Raumschiff saust an einem Beobachter vorbei, der „in Ruhe“ steht, und schickt den Lichtstrahl in dem Moment ab, in dem es ganz knapp am Beobachter dran ist. Dann beobachtet dieser, daß nach einer Sekunde (nach sei­ner Armbanduhr) das Licht wieder 300000 km weit vom ihm entfernt ist, und das Raumschiff 299997 km. Er sieht also nach einer Sekunde das Licht 3 km vom Raum­schiff entfernt.
  • Das wirkt im ersten Moment paradox, aber die Uhr im Raumschiff geht ja auch viel langsamer als die des stehenden Beobachters.

JWDHF 
Fragesteller
 21.03.2024, 04:13

Vielen Dank. Schon krass, diese Relativitätstheorie, da steht einem der Verstand still....

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Aus Sicht des Raumschiffs entfernt sich das Licht mit Lichtgeschwindigkeit, die ist also relativ zum Beobachter, daher der Name Relativitätstheorie.