Satanismus scheint mir zunächst eher eine Art verballhornter Nietzscheanismus für postmoderne großstädtische Bevölkerungen, vor allem des Westens, zu sein als eine genuine, originelle Weltanschauung.
Wie der Protestantensohn Nietzsche wendet sich auch der aus einer jüdischen Familie stammende LaVey gegen die überkommene christliche Werteordnung, die das Abendland fast zwei Jahrtausende getragen hatte. Wie Nietzsche kritisiert auch LaVey das Lebensfeindliche der christlichen Werteordnung, also den im Christentum idealisierten Verzicht auf sexuelle und andere sinnliche Genüsse, überhaupt das Lebens- und Leibfeindliche wie es sich etwa in der Erklärung der „Völlerei“ (also des übermäßigen Essens aus reinem Genusswillen) zur christlichen „Todsünde“ äußert.
Nietzsche hat damit den üblichen Nihilismusbegriff seiner Zeit umgedeutet: Nicht der Verfall der christlichen Wertordnung seit der Aufklärung des 18. Jh., den Nietzsche mit seinem Wort vom „Tode Gottes“ nicht mehr fördern oder gar veranlassen, sondern nur noch resümieren muss, ist fortan der Nihilismus, sondern die absterbende christliche Werteordnung selbst, die als Umkehrung der ursprünglichen vitalen, lebensbejahenden Werte des Altertums (Kraft, Männlichkeit, Siegertum, Stolz, Selbstherrlichkeit usw.) gedeutet wird. Der Nihilismus im landläufigen Sinne (heraufdämmernder Atheismus) überwindet also den Nihilismus im Sinne Nietzsches (Ressentiment-Werteordnung des Christentums).
Nietzsches „Umwertung aller Werte“ (richtiger: Demaskierung der christlichen Scheinwerte und Renaissance der heidnisch-antiken Werte) wird im 20. Jh. von A. S. LaVey paraphrasiert. Im Grunde ist LaVey somit nichts weiter als ein Plagiator, der den von Nietzsche gewonnenen Wein dem Publikum in neuen Schläuchen servieren will.
Was an dieser Kritik des Christentums genuin schlecht sein soll, will nicht recht in meinen Kopf hinein. Bereits große, lebensbejahende Genies wie Goethe haben die christliche Moral des Existentialneides gegenüber allem Wohlgeratenen und unbedenklich Genießerischen, Lebensfrohen im Grunde nur verachtet und höchstens dem äußeren Schein nach, sofern es die damals noch bestehende heuchlerische Konvention verlangte, mit getragen.
Allerdings vergiftet LaVey den Wein Nietzsches dann doch mit allerhand gefährlichem Unsinn: Etwa seine „Methode“ des Onanierens und dabei irgendwelche pseudomagischen Formeln chanten, um Leute zu verfluchen – was für ein schwachsinniger Tollhaus-Aberglaube!
Außerdem verbleibt die Lehre LaVeys auf der Stufe eines unreifen, geradezu infantilen Hedonismus, die eher an Nietzsches Sorgengespenst vom „letzten Menschen“ erinnert als an den von diesem geforderten „Übermenschen“. Denn letzterer schafft sich seine eigene Werteordnung, der Satanist aber hat scheinbar gar keine Werte als eben immer das zu tun, was er gerade will – das bedeutet in der realen Konsequenz dann aber: Das, was ihm seine Triebe und Launen diktieren.
Satanismus führt also von der Befreiung aus den Fesseln der christlichen Muckermoral direkt unter die Knute der Herrschaft des untersten Seelenteiles des Menschen, also dem „Es“, den Trieben, Launen und Gefühle. Der Mensch wird mitnichten frei, sondern gerät von der einen in die andere Knechtschaft.
Wer das erkannt hat, kann dem Satanismus nicht mehr verfallen. LaVey weicht vom Original Nietzsche trotz der zunächst auffälligen Kongruenz dann doch in dem einem Schlüsselpunkt entschieden ab:
1. Nietzsches Moral ist eher ein Werkzeug für machavellistische Psychopathen („Übermenschen“), die sich ja auch eine eigene Werteordnung schaffen, die weder von äußeren gesellschaftlichen oder religiösen Vorgaben, die im Gewissen („Über-Ich“) des Menschen Platz nehmen und diesen damit einschränken bzw. sein Verhalten steuern (1), noch von menschlichen Gefühlen (2), die Psychopathen bekanntlich nicht haben, noch von Trieben (3), die erfolgsorientierte Psychopathen gewöhnlich beherrschen, geprägt ist, sondern ausschließlich vom rationalen und egoistischen Willen des Machiavellisten selbst!
2. LaVeys Moral hingegen – gleichwohl sie dem Über-Ich ebenfalls sagt: „Du kannst mir mal“ (1+) – ignoriert nicht die Stimme der Gefühle (2-) und erst recht nicht die der Triebe (3-), die im Satanismus bekanntlich apotheosiert werden. Somit spricht LaVey nicht erfolgsorientierte Machiavellisten an, sondern eher schwächliche Losernaturen, die ihr jämmerliches Dasein durch das Gefühl scheinbarer Macht zu kompensieren versuchen, die sich in der Wirklichkeit aber nur als wahnhafte Selbst-Vorgaukelung bloßer Machtgefühle entpuppt, wie sie jeder junge Mensch im Rausche jugendlicher Phantasien und Megalomanien, etwa im Suff oder beim Hören dionysischer Techno-Musik und dergleichen, wohl schon selbst erlebt hat.
Satanismus ist somit Opium für onanierende Teenager und schwächliche Omega-Männchen, die in der Realität nichts gebacken bekommen. –