Wollte die Sowjetunion eine Demokratie?

12 Antworten

Ich tue es selten, aber die vielen einseitig antiamerikanischen antworten in diesem strang zwingen mich dazu, auf folgende historische tatsachen hinzuweisen:

Usa war das erste land in der weltgeschichte, in dem in folge der amerikanischen revolution (1776-83) eine demokratische verfassung mit gleichem wahlrecht, einem gewählten präsidenten und mit diversen menschenrechten wie meinungsfreiheit, versammlungsfreiheit, vereinigungsfreiheit, religionsfreiheit, freizügigkeit und freier wahl des berufs etabliert wurde. Natürlich hatte und hat diese demokratie (wie jede demokratie) zahllose mängel, auf denen man stundenlang herumhacken kann und auch soll - wenn man denn im ansatz bitteschön auch ein minimum an achtung vor diesem welthistorisch äußerst mutigen versuch aufbringt.

Eine andere sache sind die weltmacht- und militärmacht-ambitionen dieses landes. Die haben zunächst mal mit den grundgedanken der demokratie nichts zu tun; nur insofern, dass viele usamische nationalisten den stolz auf ihre welthistorische leistung in diese richtung hinein übertreiben. Übrigens ähnlich wie Frankreich zur zeit Napoleons. Ja, es mag ein problem sein, dass Usa niemals eine richtige militärische niederlage erlebt hat wie Frankreich. Dennoch rate ich den ganzen anti-usamischen kreuzrittern hier entschieden davon ab, diese lektion nachzuholen.

Stattdessen empfehle ich, das land einfach als eines von den vielen ländern dieser erde zu sehen und als solches auch zu achten. Deshalb vermeide ich begriffe wie "Vereinigte Staaten" und "Amerika" und spreche lieber von Usa, Usamern und usamisch, so wie man Kanada, Kanadier, kanadisch sagt.


Faster  31.10.2010, 11:19

Möglicherweise sollte man an dieser Stelle noch hinzufügen, dass im amerikanischen Demokratieverständnis schon immer die Eigenverantwortung jedes einzelnen Bürgers eine weitaus größere Rolle gespielt hat, als in den meisten anderen Staaten. Das Individuum muss sich nicht nur selbst um Arbeit bemühen, selbst versichern und selbst informieren, es ist zugleich auch in der Pflicht, um seine eigenen Interessen in der Gesellschaft durchzusetzen, andere zu informieren, zu agitieren, Verantwortung in gering oder gar nicht bezahlten öffentlichen Ämtern zu übernehmen, usw. Dadurch nehmen einerseits Freiheit, Verantwortung und Motivation einen weitaus größeren Stellenwert in der usamerikanischen Gesellschaft ein, andererseits lädt sie aber auch zu Missbrauch, Fehlinformationen, Dummheit und großen sozialen Verwerfungen ein. Ein Problem, dessen sich viele USAmerikaner durchaus bewusst sind, und das sie eben auch zu ihrem Demokratieverständnis rechnen.

@tonikal: wirklich guter Beitrag!

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Das amerikanische Demokratieverständnis sollte ja klar sein.

Das sowjetische sah so aus, dass nach einer geistigen Weiterentwicklung der Bürger eine Räterepublik entstehen sollte. D.h. es gibt einen Ortsrat für jede kleine Gemeinde, in dem demokratisch über alle lokalen Belange entschieden wird. Von diesem Rat aus gehen ein oder zwei Abgeordnete in den nächst höheren Rat (zum Beispiel den des Landkreises). Auch dort trifft der Rat demokratisch Entscheidungen, die dann für alle ihm untergeordneten Gemeinderäte verbindlich sind. Und auch sie schicken wieder Abgeordnete zu einem übergeordneten Rat. So entsteht dann letztlich eine Pyramide von Räten an deren Spitze der Regierungsrat des Landes steht.

Parteien waren dabei nicht notwendig, weil nach dem Verständnis der Sowjets jeder Bürger durch gleiche Bildung und Lebenschancen gut genug gebildet sein sollte, um unabhängig, objektiv und mit Sachverstand eine Wahl im Rat treffen zu können. Der Rat würde daher in jedem Fall den Willen des Volkes ausdrücken und zu dessen Besten handeln - da er keine sozialen oder finanziellen Vorteile aus seinen Amtshandlungen ziehen könnte/wollen würde wäre auch ein Konflikt zwischen Regierenden und Bevölkerung ausgeschlossen. Und durch ein System regelmäßigen Austauschs der Ratsmitglieder wäre auch gewährleistet gewesen, dass jeder Bürger nicht nur irgendwann Teil eines oder mehrerer Räte wäre, sondern dass auch jeder die gleiche Chance hätte, irgendwann dem obersten Rat anzugehören.

Das Problem dabei ist allerdings, dass hier eine Bevölkerung vorausgesetzt wird, die eigentlich komplett uneigennützig und wohlüberlegt handelt. Dafür hätte gewissermaßen erst ein neuer Mensch geschaffen werden müssen - eine Erziehungsperiode über mehrere Generationen wäre notwendig - das, was die DDR als Vorstufe zum Kommunismus "Sozialismus" nannte. Ob es jemals möglich wäre, einen solchen Menschen zu erziehen, wage ich im Übrigen stark zu bezweifeln.


aptem  28.10.2010, 15:49

Es wäre noch zu ergänzen, dass die Idee des Rätesystems zwar sogar in den Namen des Landes überging, in Wirklichkeit aber noch von Lenin undKumpanen im Keim erstickt wurde sehr sehr früh. Es gab ja grosse und bekannte Aufstände, die gerade "Alle Macht den Räten" forderten, da sie sahen wie die Idee von Lenin demontiert wird. Man hat sie kurzerhand zu "Konterrevolutionären" erklärt und allesamt vernichtet, wirklich vernichtet. Die Aufständischen wurden in Konzentrationslagern einfach "liquidiert". Also muss man sagen, dass man der Idee eines echten Sowjetstaates nie eine Chance gab. Wobei ich auch nicht glaube, dass das funktionieren würde.

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Faster  29.10.2010, 07:32
@aptem

Danke, war ein guter Hinweis und war mir auch nicht bewusst, dass es tatsächlich schon Ansätze gab, das Rätesystem weiter zu verwirklichen. ;)

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tonikal  29.10.2010, 13:55

Wenn ich mir die antworten hier angucke, wird klar, dass das amerikanische demokratieverständnis in der runde hier alles andere als klar ist.

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tonikal  29.10.2010, 15:30

Aber einen daumen gibt's für die gute erklärung des sowjetischen ansatzes!

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Der Demokratiebegriff war und ist für beide Seiten nur ein hohler Begriff. In der Realität ging es für die USA und die UdSSR - heute Russland - ausschließlich um die Ausweitung und Festigung ihrer jeweiligen Macht- und Einflußsphären. Und das völlig unabhängig von den jeweils praktizierten Systhemen des Kapitalismus- und Kommunismus!

seh dir mal die letzte phase des krieges an und die friedensverhandlungen der siegermächte. dann wirst du auch den grund finden warum es den ost west konflikt gegeben hat. so wie du das siehst stimmt es überhauptnicht und ist realitätsfremd.


Anonym4444 
Fragesteller
 28.10.2010, 07:46

in der Arbeit kommt die letzte Phase net dran :-S ich hab soweit gar net gelernt...

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Hi, Anspruch und Wirklichkeit: Die Hegemonisbestrebungen der USA werden als Förderung der Demokratie verkauft/beworben. Es geht und ging aber immer nur um Hegemonie/Imperialismus. In Grenzbereichen (Vorgarten Südamerika und Expansion ehemalige SU Einfluß/Staaten sowie: Vietnam, Irak, Iran, Palestinser/Israel kann der, der selbst denken kann, Unterschiede erkennen. Es geht und ging ums Globalspel. Wer beherrscht den Globus. Ich persönlich sitze lieber im goldenen Käfig als im eisernen. Jedoch, das kann sich bald ändern (China, Indien). Gruß Osmond


Gabi40  29.10.2010, 13:53

Klasse Osmond, jetzt bleibt nur noch zu wünschen, daß die werten Fragesteller und Leser dieses Forums auch zwischen den Zeilen lesen können! Von mir DH!

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