Wie viel sind die Begriffe "links" und "rechts" noch wert?

8 Antworten

Moin,

hier ein kurzer Hinweis zur Entstehung dieses Schemas ( Sitzordnung Nationalversammlung Frankfurter Paulskirche / Märzrevolution 1848 entsprechend politischer Ausrichtung).

https://www.zum.de/Faecher/G/BW/Landeskunde/rhein/geschichte/1848/parteien.htm

Grundsätzlich sind Begriffe in ihrer generellen Bedeutung die unerlässlichen Orientierungspunkte, um einem Denk- und Kommunikationsprozess überhaupt eine (semantische) Struktur geben zu können,- also, damit wir uns selbst beim Denken oder jemand anderem beim Reden bezeichnen können, über was wir denken und reden wollen.

Das heißt aber nicht, dass ein Begriff eindeutig ist. Er kann durch unterschiedliche Wissens-, Lebens- und Erfahrungskontexte unterschiedlich interpretiert, interessensgesteuert rhetorisch missbraucht oder schlicht mangels Kenntnis "leer" sein. Die Nennung eines Begriffes entbindet nie von der Frage:"Was meinst du genau?" Ein Begriff transportiert immer eine Bedeutung und diese besteht niemals ohne einen Kontext, in welchem sie eingebettet ist und dadurch zu dem wird was sie dann im Verständigungsprozess wird.

Insofern gilt dies alles auch für die politischen Begriffe "links", "rechts", "Mitte", "linke/rechte Mitte" usw.

Ob diese Klassifizierungen sich noch mit den Bedeutungen aus der Zeit, in der sie entstanden sind decken muss man selbst überprüfen, ebenso, ob Anspruch und Verhalten übereinstimmen.

"Konservativ" muss nicht automatisch im Wortsinne "bewahrend" sein,- es kann auch zerstörerisch sein, ebenso wie "links" nicht automatisch "progressiv" und "progressiv" nicht automatisch "humanistisch" bedeutet.

Ob ein Faschist sich als Sozialist bezeichnet macht zwischen Hitler und Stalin, zwischen Franco und Kim Yong Un und vielen anderen historischen und aktuellen Diktatoren nicht den entscheidenden Unterschied, ebenso wie eine Demokratie nicht deshalb schon eine ist, weil die Leute sie dafür halten oder Politiker sie so nennen.

Insofern musst du einen Begriff immer selbst im Vergleich mit der Wirklichkeit daraufhin überprüfen, inwieweit er dieser mit dem, was er behauptet zu sein tatsächlich entspricht, also sowohl in der Logik seiner Selbstdefinition als auch in der Plausibilität des Kontextes seiner Anwendung.

Gruß


gufrastella  16.01.2024, 15:20

Danke für deine klare Erläuterung! Allerdings nimmt die bewusste oder unbewusste Ungenauigkeit und der Missbrauch von Begrifflichkeiten stark zu. "Das wird man doch mal sagen dürfen."...

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Grautvornix16  17.01.2024, 16:45
@gufrastella

ja, da hast du recht. Es ist auch wieder die Hochzeit der populistischen Rhetoriker - nicht der Analytiker und Denker. Sprache soll eigene Interessen und Psychologismen realisieren, nicht qualifizierte Verfahren, Einsichten und Erkenntnisse zu gewinnen. Hinter diesem Trend einer intellektuellen Verwahrlosung verbergen sich Fragen an den Zustand einer Gesellschaft und ihrer Leitideen zum Bild des Menschen, seiner Rolle im sozialen und ökonomischen Raum und den Regeln seines Zusammenlebens. Ich glaube, dass da seit der Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders etwas monströses aufgewachsen ist, für das ich selbst den Namen "Wirtschafts- und Funktionalitätsfaschismus" bevorzuge und nutze und in dessen Folge der Verlust der ethischen und ästhetischen Dimension des Menschen letztlich zur Entmenschlichung führt. Insofern besteht in einer Welt, in der es nur noch um intuitive Strategien zur Durchsetzung der eigenen Interessen geht, keine Nachfrage mehr nach logischer, philosophisch-reflektiver Intellektualität - erst recht nicht, wenn man weiß, dass sie die Grundlage für Selbstverantwortung ist. ;-)

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gufrastella  17.01.2024, 16:51
@Grautvornix16

Über die Begrifflichkeit kann man sicher lange diskutieren. Die Inhalte verschieden zu interpretieren ist durchaus sinnvoll. Aber noch sinnvoller ist es, die rhetorisch aufgeheizt beschriebene Wirklichkeit zu ändern, um uns allen eine gemeinschaftlich solidarisch zu nutzende Zukunft zu sichern.

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Grautvornix16  17.01.2024, 17:59
@gufrastella

und dazu brauchst du logisches Denken, eine rhetorikfreie sachorientierte Klarheit der Sprache und einen gleichgestellten autoritätsfreien Zugang zu Informationen.

Die Menschenrechte sind nicht durch "Interpretationen" entstanden, sondern als Rechtsuniversalie aufgrund ihrer logischen Unrelativierbarkeit und Nicht-Interpretierbarkeit. Deshalb kann man sie missachten und unterdrücken, aber nicht widerlegen und dadurch aus der Welt schaffen. - Das ist ein Ergebnis der Aufklärung (nicht von Religionen oder politischen Ideologien) und im Kern geht es darum dieses, aktuell vergessene Projekt wieder aufzugreifen und fortzuführen.

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gufrastella  17.01.2024, 18:03
@Grautvornix16

Ja. Um den gleichgestellten autoritätsfreien Zugang zu Informationen zu bekommen, braucht es machtvolle Eingriffe in die ausufernde und manipulative Medienwelt und Mittel für Bildung statt Rüstung...

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Grautvornix16  18.01.2024, 15:01
@gufrastella

Habe den Daumen für deinen letzten Kommentar hoch gemacht, möchte aber auch einschränken: "machtvoller Eingriff" - nenne es lieber "radikaldemokratisch". Von Robespierre bis Putin - von einer oligarchischen Diktatur bis zur "One-Man-Show": Es gibt keine Diktatur, keinen Totalitarismus, die/der nicht von sich selbst überzeugt ist, das Notwendige im Auftrag des "Guten und Richtigen" tun zu müssen und dabei die Unmenschlichkeit zum System macht. Und es bleiben immer genug über, die solche Systeme mittragen. Es gibt genügend psychologische Mechanismen um >Kognitive Dissonanzen< unter dem Druck des alltagspraktisch Faktischen zu "faken". - Wie B. Brecht schon sagte: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral."

Revolutionen brechen erst aus wenn es zu vielen zu schlecht geht - für edle Ideen macht sich im Moment der Wahrheit keine politisch relevante Menge zum Märtyrer. Da schiebt jeder den anderen lieber nach vorne.

Es geht eher um Evolution. Und solange Bindestrich-Demokratien (parlamentarisch, bürgerlich, repräsentativ etc.) einen Teilspielraum für "Meinungsbildung" lassen, sollte dieser beharrlich genutzt werden.

Das dies in einer Gesellschaft, deren Religion und Steuerungsparadigma die betriebswirtschaftlich verrechnete Gewinnmaximierung und deren Steuerungsmechanismen die Interessen einer wirkmächtigen Plutokratie sind, macht die Sache nicht leichter.

Aber es gibt Lücken - die sollten mit Zähigkeit genutzt und ausgebaut werden.

Das die meisten (Haupt-) Medien als Teil dieses "Systems" die Sache nicht leichter machen ist sicher richtig.

Ja,- Bildung ist einer der wichtigsten Schlüssel. Aber das meint eben Bildung nicht Aus-Bildung.

Dieses dysfunktionale System benötigt funktionsfähige Arbeitsbienen, nicht autonom aufgeklärte Menschen.

Erst wenn fehlende Bildung sich gegen das System richtet ist das Geheule groß und alle tun so, als wären sie von einer jahrzehntelangen Entwicklung völlig überrascht und als Vertreter des "Guten" unschuldig und ahnungslos.

Aber auch das gehört zu den vorhersehbaren Diskussionsritualen der gesellschaftlichen Eliten, die bislang von der bestehenden politischen Systematik des Systems profitiert haben. Profit schlägt eben immer noch Moral. - Oder glaubst du, "dass Frösche dafür sind, den Sumpf trocken zu legen, in dem sie bislang fröhlich feiern" (solange sie was zu feiern haben)?

Also: Diktaturen können nicht durch "Gegendiktaturen" "kompensiert werden.

Das sind keine echten Revolutionen. Es sind Revolutionen, "die ihre eigenen Kinder fressen".

Was bleibt ist das persönliche Engagement, um basisdemokratische Kräfte (die ja auch zahlreich schon bestehen) zu stärken, Unbeirrbarkeit, ein langer Atem und vor allem das (Vor-) Leben von Gerechtigkeit, Solidarität und Selbstverantwortung im eigenen Leben.

Um es mit einem Satz von Hannah Arendt zusammenzufassen: " Niemand hat das Recht, sich beherrschen zu lassen." ;-)

Gruß

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Links ist nicht mehr kohärent.

Früher ging gesellschaftlich progressives Denken, wie beispielsweise Feminismus oder Friedensbewegung, Hand in Hand mit der Arbeiterbewegung, Gewerkschaften, dem Eintreten für hohe bzw. ausreichende Transferleistungen.

Auf die SPD als politische Vertretung davon konnte man sich verlassen. Später auch auf die Grünen, wobei die schon heterogener waren.

Seit Schröder mit seiner "neuen Mitte" wurde dieses Vertrauen zerstört.

Die Steuer- und Sozialpolitik unter Helmut Kohl war wesentlich "linker" als danach unter Schröder.

Und auch linker als heute unter der Ampel.

"Ehe für Alle" (Merkel) und unkontrollierte Einwanderung, sowie Atomausstieg (auch Merkel) kann man leider nicht essen.

Die Schere zwischen arm und reich klafft immer weiter auseinander.

Ich vermisse eine Partei die klassisch links ist - also bei den harten Themen Steuern und Umverteilung.

Gendergerechte Sprache und Hypersensibilität im Bezug auf Rassismus und Kolonialismus sind für mich persönlich Kram und unwichtiger Heititei für Menschen ohne echte Probleme.

Daher sehe ich das Bündnis Sahra Wagenknecht als Gegenentwurf sowohl zur Agenda-Politik von Gerhard Schröder als auch zur gesellschaftspolitisch linken, aber sozialpolitisch rechten Politik von Angela Merkel.

BSW wird als "linkskonservativ" bezeichnet, damit haben viele Leute scheinbar ein Problem.

Letztlich sind damit (bis auf die Außenpolitik, die immer als größter Kritikpunkt angeführt wird) Positionen gemeint wie sie heute auch Helmut Schmidt vertreten würde, wenn er noch lebte.

Was in welchem Bereich links und was rechts ist hat sich verschoben.

Knallharte rechte Positionen in der Sozial-, Arbeitsmarkt-, Steuerpolitik und vielen weiteren "harten" wirtschaftlichen Themen gelten heute als Mitte.

Hingegen sind linksextreme Positionen zu Feminismus und LGBTIQ heute ebenfalls mitte.

Da passt halt einfach vieles nicht mehr zusammen und deshalb wäre es eine logische Konsequenz neue Begrifflichkeiten zu finden, wie etwa das viel kritisierte "linkskonservativ" in dem ich mich persönlich als ehemaliges Mitglied der SPD und im Herzen noch immer Sozialdemokrat gut wiederfinden und einordnen kann.

Die Zeiten des Einheitsfrontliedes sind eindeutig vorbei.

https://youtu.be/6Tz5daRrGDw?si=iT3C3vA90Avejgks

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Langjährige Erfahrung in der Parteipolitik und als Reporter

Rechts bzw. rechtsextrem werden heute u. a. all diejenigen genannt, die mit dem täglichen Rechtsbruch der Machthaber nicht einverstanden sind. Beliebt ist es auch Leute als Antisemiten oder Nazis zu bezeichnen, selbst wenn es Bürger sind, die für die Grundrechte auf die Straße gehen oder gehen Coronamaßnahmen demonstrieren. Es ist eine beliebte Masche um sich nicht mit den Argumenten des Anderen zu befassen, sondern ihn gleich von vornherein als indiskutabel und gefährlich zu brandmarken. Was sich heute links nennt, ist dieser Bezeichnung unwürdig. Marx würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, was diese Vögel heute abziehen. Sie haben die Arbeiter und kleinen Leute verraten und sind die besten Helfer internationaler Konzerne. Zusätzlich fördern sie die illegale Einreise von Menschen, die im besten Fall mit den eigenen Leuten um Arbeitsplätze konkurrieren, in den meisten Fällen aber von zweckentfremdem Steuergeld leben. Das Volk wurde nie gefragt, ob es Millionen Fremde im Land haben will, aber von einer Demokratie kann man sowieso nicht sprechen, wenn der Wählerwille ungestraft mißachtet werden kann. Solange Politiker nicht zur Rechenschaft gezogen werden und Wahlversprechen nicht eingehalten werden müssen, braucht man von Demokratie nicht zu reden. Die heutigen Linken sind Sektflötensozialisten, die sich in ihrer Abgehobenheit die Schwierigkeiten (oft sogar von ihnen geschaffen) einfacher Leute gar nicht vorstellen können. Richtige Linke würden von ihnen vermutlich als Nazis beschimpft werden. Dazu kommt noch, daß es kaum Leute mit Anstand und Rückgrat in der Politik gibt. Die letzten Regierungen haben alle zum Schaden des Volkes gehandelt und viele von ihnen bemühen sich mittlerweile oft nicht einmal mehr so zu tun, als ob.

Rechts wird als gefährlich, demokratiefeindlich etc. dargestellt. Bei einer nichtvorhandenen Demokratie kann man das nicht ernstnehmen. Es ist auch schwer vorstellbar, inwiefern rechts eine größere Gefahr als die derzeitige Regierung darstellen könnte. Sie weigert sich ihrer Pflicht, die Bürger zu schützen, nachzukommen. Innerhalb von Rekordzeit haben sie der Wirtschaft gewaltigen Schaden zugefügt und jetzt provozieren sie Rußland und wollen das Land kriegstüchtig machen. Nordstream wollen sie nicht aufklären, die Verbrechen, Betrügereien und Folgen der Coronakrise nicht aufarbeiten. Sie verlängern das sinnlose Massenmorden in der Ukraine und helfen Israel dabei, zigtausende wehrloser Zivilisten abzuschlachten und ihrer Heimat zu berauben. Mir fällt nichts ein, was die bösen Rechten schlimmer machen könnten. Grundlos mit der Gefahr eines Atomkrieges zu spielen ist an Gefährlichkeit und Verantwortungslosigkeit kaum zu übertreffen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Nun die politische Welt hat sich seit der damals aufgekommenen links rechts Schubladisierung eben geändert. Links bedeutet alles was sich nicht in der Mitte oder rechts sieht und umgekehrt eben auch rechts. Die Definition ist aber nicht in Stein gemeisselt, da sich die linken Parteien (ehemals die Sozialdemokraten) eben nicht mehr für das Soziale einsetzen sondern ihre Politiker alle samt zu den Caviar Sozialisten zu zählen sind. Deshalb haben sich links neue Parteien ergeben wie z.Bsp, die Linken. Rechts ist heute ersetzt durch turbo Kapitalismus und extrem Liberale. Diese sind alle bewusst nicht Mitte, sondern sehen sich als Besser an als die Linken (da sie über das Geld regieren). So und dann gibt es eben noch die Mitte, die sich einpendelt zwischen den Extremen. Am ganz äussersten rechten Rand hat sich nun in Deutschland die AfD angesiedelt. Ihr genügt das Liberale rechts eben nicht.

So hat sich die Politlandschaft verändert und dies ist in allen Demokratien Europas zu beobachten, selbst in der Schweiz kennen wir heute die ganz Rechten, die Schweizerische Volkspartei SVP, die häufig mit der AfD verglichen wird ob wohl in der Schweiz "Naziverehrer" unbekannt sind.Die heutige Mitte in der Schweiz besteht aus einer neuen Partei die sich aus der Evangelischen Volkspartei neu erfunden hat. Also wie die CDU die heute ja eigentlich das C nur trägt weil es gut aussieht oder aber weil man in der Mitte eben eine Wischiwaschipolitik treiben kann ohne sich für irgend Etwas wirklich festzulegen.

All das hat mit der Evolution unserer Parteienlandschaft zu tun und hat nichts mit der Primitivität der Menschen zu tun, wie das der SlammerlV in der nächsten Antwort so überheblich erklärt hat.

Fazit Links ist wer sich so versteht, Mitte ist wer sich so versteht und rechts ist wer sich so versteht.

Kann man Links sein und auch Rechts ? J ads kann man tatsächlich und deshalb ist das rechts links Schema eigentlich auch nur ein Propagandainstrument der Presse und der Parteien selbst.

Meine Mutter war eine echte Sozialdemokratin, mein Vater ein 100% FDP Wähler, die Mutter war Hausfrau, der Vater Bankier. Ich als zweiter Sohn wuchs in der Mitte dieser beiden Pole auf. Ich bin im Staate auf höchste Stufe aufgestiegen aber nie ein Parteimitglied, Werder rechts noch links noch in der Mitte. Ich habe bei allen Volksabstimmungen in der Schweiz immer das abgestimmt von dem ich überzeugt war, dass es für das Land und die Leute (linke und rechte) das Richtige sei. Oft hab eich auf der Gewinnerseite gelebt aber auch oft einstecken müssen. Ich habe das immer als echte Demokratie erlebt und so ist mir das links rechts schema eigentlich egal.


KiboSeishin 
Fragesteller
 15.01.2024, 15:31

Vielen Dank für deine sehr ausführliche Antwort!

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links = theoretisch für bessere soziale Sicherung, Kampf für Benachteiligte usw. In der Praxis nur hôhere Steuern oft

rechts - verteidigt traditonelle Werte, mitunter jedoch engstirning und wenig aufgeschlossen für fremde Kulturen, Ausländer usw.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung