Welches Aristoteles-Zitat soll das sein?

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Aristoteles, Politik 8, 5 - 7 behandelt die Musik (musische Kunst), ihren Einfluß auf die Menschen und ihre Bedeutung in der Erziehung.

Was in der Fragebeschreibung als Aristoteles-Zitate im Internet benannt wird, ist weniger ein Wortlaut (Aristoteles in deutscher Übersetzung genau zitiert) als teils eine ungefähre Wiedergabe, teils eine zugespitzte Angabe (durch falsche Art von Musik zu einer falschen Art von Person werden) eines inhaltlich enthaltenen Gedankens in ganzen Abschnitt über Musik.

„Musik widerspiegelt genau die Begierden oder Zustände der Seele: Freundlichkeit, Ärger, Mut, Mässigung“ steht ungefähr bei Aristoteles, Politik 8, 5, 1340 a 18 – 20. Die Eigenschaften sind Leidenschaft/Begierde/Eifer/Zorn/Wut (griechisch: ὀργή [orge]), Sanftmut/Milde/Ruhe/Geduld (griechisch: πραότης [praotes]), Tapferkeit (griechisch: ἀνδρεία [andreia]) und Besonnenheit/Mäßigung (griechisch: σωφροσύνη [sophrosyne]).

„Musik repräsentiert die direkte Leidenschaft der Seele.“ vermischt in nur sehr ungefährer Wiedergabe diese Stelle mit Aristoteles, Politik 8, 5, 1340 a 10 – 11, wo Begeisterung als eine die Wesensart/den Charakter (griechisch: ἦθος [ethos]) der Seele betreffende Leidenschaft (griechisch: πάθος [pathos]; wird auch mit „Affekt“ wiedergegeben) verstanden wird.

Aristoteles, Politik 8, 5, 1340 a 7 – 27 in einer deutschen Übersetzung:

Aristoteles, Politik : Schriften zur Staatstheorie. Übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart : Reclam, 2010 (Reclams Universal-Bibliothek ; Nr. 8522), S. 379 – 380:

„Das dürfte sich dann wohl klar ergeben, wenn wir durch sie in unserer Wesensart eine bestimmte Qualität bekommen: Daß wir aber doch eine bestimmte Qualität bekommen, wird aus vielem anderen offenbar, nicht zum geringsten aus den Liedern des Olympus.

[10] Denn diese Lieder machen nach übereinstimmender Ansicht die Seelen begeistert, die Begeisterung aber bedeutet einen Affekt der seelischen Wesensart, und weiterhin, wenn die Leute Theaterdarbietungen hören, haben sie alle die gleichen Empfindungen, auch ohne die Rhythmen und Lieder. Weil es aber zutrifft, daß die Musik zum Angenehmen gehört, [15] die Tugend jedoch damit in Beziehung steht, sich in der rechten Weise zu freuen, zu lieben und zu hassen, muß man klarerweise nichts so sehr lernen und sich an nichts so sehr gewöhnen wie daran, in der rechten Weise zu urteilen und sich an den anständigen Wesensarten und den edlen Taten zu freuen. Es gibt nun zu den wahren echten Naturen in den Rhythmen und Liedern außerordentliche Ähnlichkeiten von Zorn und Sanftmut, [20] ferner von Tapferkeit und Besonnenheit und von all dem, was das Gegenteil davon ist, und dazu noch von den übrigen Charaktereigenschaften; das geht klar aus den Tatsachen hervor. Wir verändern uns nämlich in der Seele, wenn wir solches hören. Die Gewöhnung aber, bei Ähnlichem Leid zu empfinden und Freude, ist dem ganz nahe, daß man sich zur Wahrheit in derselben Art und Weise verhält; [25] wie wenn jemand, der das Bild einer Person betrachtet, sich aus keinem anderen Grund freut als eben wegen dieser Gestalt, so muß eben dieser Anblick der Person selber angenehm sein, deren Bild er betrachtet.“

Aristoteles, Politik 8, 5, 1340 b 10 – 13 in einer deutschen Übersetzung:

Aristoteles, Politik : Schriften zur Staatstheorie. Übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart : Reclam, 2010 (Reclams Universal-Bibliothek ; Nr. 8522), S. 381:

„Aus allem geht offenbar hervor, daß die Musik in der Lage ist, eine ganz bestimmte Wesensart der Seele zu verleihen. Wenn sie dies aber bewirken kann, muß man klarerweise die jungen Leute an sie heranführen und sie in ihr erziehen.“

Aristoteles, Politik 8, 7, 1342 a 22 - 34 in einer deutschen Übersetzung:

Aristoteles, Politik : Schriften zur Staatstheorie. Übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart : Reclam, 2010 (Reclams Universal-Bibliothek ; Nr. 8522), S. 387 - 388:

„Wie aber deren Seelen gewissermaßen in ihrer natürlichen Beschaffenheit »verdreht« sind, so gibt es auch bei den Tonarten Abweichungen und bei den Liedern, die überspannt und falsch eingesetzt sind;“

Eine Überzeugung von dem Einfluß der Musik (der musischen Kunst) auf die Seele und ihre Charaktereigenschaften und ihrer Wichtigkeit bei der Erziehung gibt es schon bei Platon.

Platon, Politeia 401 d – 402 a in einer deutschen Übersetzung:

Platon, Der Staat : (= Politeia). Übersetzt und herausgegeben von Karl Vretska. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart : Reclam, 2000 (Universal-Bibliothek ; Nr. 8205), S. 183 – 184:

„«Deshalb also, mein Glaukon», sagt ich, «ist die Erziehung durch Musik so überaus wichtig, weil am tiefsten in die Seele Rhythmus und Harmonie eindringen, sie am stärksten ergreifen und ihr edle Haltung verleihen; solch edle Haltung erzeugen sie, wenn man richtig erzogen wird, wenn nicht [e], dann die entgegengesetzte. Und zum andern, weil das Fehlerhafte und Schlechte am Kunstwerk wie in der Natur am schärfsten der erkennt, der in der Musik richtig erzogen ist, und weil er - aus gerechtem Unwillen darüber - voll Freude das Schöne lobt, es in seine Seele aufnimmt und sich nährt davon und schön wird und trefflich; das Häßliche aber tadelt er mit Recht und haßt es schon in früher Jugend, [402 a] ehe er noch den Grund zu erfassen fähig ist. Wenn dann die Vernunft erwacht, begrüßt sie freudig und erkennt sie durch die Wesensverwandtschaft am meisten jener, der so erzogen ist.»

«Deshalb ruht, wie ich glaube, die Erziehung vor allem in der Musik."

Platon, Nomoi 669 b in einer deutschen Übersetzung:

Platon, Sämtliche Werke : Jubiläumsausgabe sämtlicher Werke zum 2400. Geburtstag; Artemis-Paperbackausgabe in acht Bänden. Eingeleitet von Olof Gigon. Übertrage nvon Rudolf Rufener Band 7: Die Gesetze. Zürich ; München : Artemis-Verlag, 1974, S. 77:

„DER ATHENER: Wir wollen uns nicht versagen, die Schwierigkeiten darzustellen, die sich bei der Musik bieten; da man nämlich auf sie ganz besondere Loblieder singt, mehr als auf die anderen Arten von Nachbildungen, so ist hier auch größere Vorsicht als bei allen anderen am Platz. Denn macht einer hier einen Fehler, so ist der Schaden am größten, weil er da schlechte Gewohnheiten fördert; das aber ist sehr schwer festzustellen, weil unsere Dichter schlechtere Dichter sind als die Musen selbst.“


prettyallision 
Fragesteller
 14.01.2020, 12:52

Vielen Dank für den gehaltvollen Beitrag!!

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Ich bezweifle ganz stark, dass DER Aristoteles sowas gesagt haben soll. Ehrlich gesagt bezweifle ich es nicht nur sondern bin sicher, dass er das nicht war. Und es gibt auch keine "falsche Art von Person". Was soll das bitte sein?


prettyallision 
Fragesteller
 13.01.2020, 13:17

Habe das jetzt so verstanden, dass wenn man die falsche Art von Musik - Musik die Emotionen zu nachteiligen Handlungen beeinflusst - hört, man zu einer falschen Art von Person wird - sich also manipuliert hat lassen. Gibt es eine ähnliche Äußerung zur Musik von ihm?

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Kitharea  13.01.2020, 16:11
@prettyallision

Nachdem Aristoteles sowas nicht gesagt hat gibts auch keine ähnliche Äußerung zumal Musik damals noch was völlig anderes was als heute.

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Zumindest der Teil vor der "falschen Person" scheint authentisch zu sein. https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=222_Aristoteles&f_thema=Musik%2C+Gesang

Woher ich das weiß:Recherche

prettyallision 
Fragesteller
 13.01.2020, 13:33

Im ersten Zitat ist der zweite Teil mit Punkten eingeleitet. Wird hierbrei auf ein weiteres Zitat gewiesen, das dir "falsche Person" anders beschrieben, aber vielleicht gleich gemeint hat?

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Für Aristoteles steht Musik für Leidenschaft. Und Leidenschaft hindert den Denker, für den Sklaven die Arbeit verrichten, so dass er im Schatten der Olivenbäume, ein Glas Retsina in der Hand, gemächlich und nicht behindert von Leidenschaften oder gar körperlicher Anstrengung der Suche nach der Wahrheit nachgehen kann.

Und das, obwohl er schon vor Beginn dieser Suche weiß, dass sie vergeblich sein wird. :-)