Die Frage nach einer objektiven Wahrheit ist, wie fast alles in der Philosophie, heftig umstritten. Du erwähnst die Stoiker, die sich dem Logos verpflichtet fühlen und lehren, damit wir in Einheit und Harmonie mit dem Kosmos unser Dasein nach der Vernunft glücklich führen können. Daher lehrt auch der römische Kaiserphilosoph Marcus Aurelius: "Allem stimme ich zu, was mit dir, o Kosmos, übereinstimmt." Die Stoiker haben deshalb auch ein strenges Wahrheitskriterium, um zu prüfen, ob die kataleptische (griechisch: κατάληψις, Katalepsis), d.h. erfassende Vorstellung, eine Wahrnehmung von einem wirklich existierenden Gegenstand herrührt und dessen Eigenschaften so einprägt, wie es tatsächlich der Fall ist. Nur dann können die Stoiker ihre Zustimmung (griechisch: συγκατάθεσις, Synkatathesis) zu einem Sachverhalt in Form eines entsprechenden Wahrheitsurteils geben, wenn dieser sich tatsächlich als evident erweist. Dieses strenge Kriterium der Stoiker hat jedoch zur Folge, dass fast alles, was wir sehen, nur eine Perspektive, aber nicht die Wahrheit ist. So jedenfalls lautet das Credo des römischen Kaiserphilosophen Marcus Aurelius, der der späteren kaiserlichen Stoa anhing, die lehrte, dass die objektive Wahrheit für uns nicht erkennbar sei und es nur eine Suche nach Wahrheit mit Hilfe der Vernunft gäbe, die darüber entscheide, ob etwas uns nützt oder schadet.
Bei Nietzsche denke ich an seine Schrift "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn", die die Auffassung vertritt, dass Wahrheit eine Illusion sei. So schreibt Nietzsche: "Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen (...): Die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind (...)." (Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge, S. 15).
Marc Aurel und Nietzsche sind große Skeptiker einer objektiven Wahrheit und scheinen darin übereinzustimmen, wobei Marc Aurel die Suche nach Wahrheit einfordert und nur das anzuerkennt, was sich als evident erweist und in pragmatischer Hinsicht nützt und nicht schadet; während Nietzsche radikaler die Wahrheit als Illusion zu entlarven versucht, die nur auf gesellschaftlicher Konvention beruht und ein leerer Begriff sei.
Interessanter wäre es, wenn du dich auch mit Philosophen beschäftigen würdest, die von einer objektiven Wahrheit ausgehen, um das Für und Wider im philosophischen Diskurs kritisch darzulegen.