Wieso soll Kommunismus herrschaftslos sein?

5 Antworten

Herrschaftslosigkeit ist vor allem als "Abwesenheit von Hierarchie" oder "Abwesenheit von Machtgefällen" zu verstehen. Und das ist das Grundprinzip der Demokratie: Dadurch, das jedes Individuum zu gleichen Teilen an der Machtausübung beteiligt ist, wird de facto ein Zustand der geordneten Herrschaftslosigkeit erreicht.

Stell dir mal eine "perfekte Demokratie" vor. Das ist natürlich nur theoretisch, aber doch spannend:

Wir hätten also einen Staat, in dem durchaus Regeln gelten, in dem es ein Gesetz gibt. Unsere, wie sie häufig genannt werden, "Produktionsmittel", würden von diesem Staat betrieben. Und da es sich dabei um die perfekte Demokratie handelt, ist dieser Staat eine absolute Vertretung für das ganze Volk, und das Volk selber bestimmt über jegliche politische Handlungen. Somit sind die Produktionsmittel in den Händen der Gesellschaft, diese Bedingung des Kommunismus wäre also erfüllt, genauso ist eine absolute politische Gleichheit gewährleistet.

Aber was heisst das? Wir haben Regeln, kein Chaos, keinen freien Markt etc. Trotzdem ist kein Herrscher, keine Herrschergruppe, kein Anführer o.ä. auszumachen. Das ist vielleicht der einzige vorstellbare Zustand, den man als Herrschaftslosigkeit bezeichnen könnte. Klar, die einzelnen Bürger üben mit ihrer Stimme auch Herrschaft aus, allerdings übt jeder Mensch genauso viel Macht über all die anderen aus wie diese anderen auch über ihn ausüben. Unsere Herrschaftsausübungen heben sich sozusagen gegenseitig auf.

Und klar, es handelt sich dabei um reine Theorie. Eine "perfekte Demokratie" kann es wohl genau so wenig geben wie einen "reinen Kommunismus" oder einen "reinen Kapitalismus" oder eine "reine Monarchie". Aber es gibt immer Annäherungen.

Zu deiner Titelfrage (Wieso soll Kommunismus herrschaftslos sein?):

In einem System, das nicht herrschaftslos ist, gibt es eine Hierarchie. Eine Hierarchie wiederum bedeutet, dass mindestens ein Mensch mehr Macht und damit mehr Rechte hat als andere. Damit würde der Grundsatz der grundsätzlichen Gleichheit verletzt und das betrachtete System könnte nicht als "kommunistisch" bezeichnet werden.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Habe mich wissenschaftlich damit auseinandergesetzt...

conmesse 
Fragesteller
 22.09.2023, 10:40

Wo ist das herrschaftslos, wenn die Herrschaft vom Volk oder Gesellschaft durch einen Staat oder kollektiven Konstrukt aus geht? Ist die Logik dann die, dass, wenn alle herrschen, niemand herrscht?

1
Norjakeista  22.09.2023, 11:00
@conmesse
Ist die Logik dann die, dass, wenn alle herrschen, niemand herrscht?

Im Prinzip schon, ja. Denn in beiden Fällen ist die relative Herrschaft, die von jedem einzelnen ausgeht, dieselbe.

1
NyanCat96  05.10.2023, 21:17
@conmesse

Nunja wie bereits gesagt ist mit HERRSCHAFTLOS mehr die Volkssouveränität gemeint, also das das Volk regiert IG.

0

Herrschaftslos funktioniert in keiner Gesellschaftsform und nicht einmal im Tierreich.

Jeder Ameisenstaat , Bienenvolk , Termiten etc. hat auch immer eine Königin oder einen Rudelführer.

Elefanten haben eine Patriarchin, Gorillas einen Graurücken ...usw.

Es muss immer irgendeine "Treibende Kraft" geben, die sagt, wo es langgeht und an welchen Wasserloch gesoffen werden darf.


conmesse 
Fragesteller
 22.09.2023, 09:20

Mensch-Tier-Vergleiche sind immer schwierig, aber könnte was dran sein.

0
Sauron777  22.09.2023, 12:29

Also her damit mit dem König oder Diktator,von mir aus Teufel persönlich,wenn dann alles für Menschen prima läuft.

0
Kommunismus bedeutet an sich, dass Produktionsmittel kollektiv oder staatlich kontrolliert werden; Ressourcen auf die Bürger verteilt werden; private Eigentumsrechte abgeschafft werden; jeder nach seinen Fähigkeiten arbeitet und nach seinen Bedürfnissen versorgt wird.

Das wichtigste Merkmal hast du vergessen: eben die Klassenlosigkeit, d.h. jedes Mitglied der Gesellschaft kann potentiell oder zeitweise jede notwendige Arbeit übernehmen, es gibt keine dauerhafte Trennung mehr in Arbeiter und Anführer und damit keine Herrschaft.

Herrschaft, Klassen und Staaten gab und gibt es auch nicht in Jäger- und Sammler-Gesellschaften, weil es hier überlebensnotwendig ist, dass sich alle an den notwendigen Arbeiten beteiligen. Diese Gesellschaften werden im Marxismus deshalb auch als "Urkommunismus" bezeichnet. Der zu erreichende "echte" Kommunismus soll natürlich den ständigen Mangel und die Not des Urkommunismus überwunden haben.

Erst mit der Produktion eines wirtschaftlichen Überschusses durch die Landwirtschaft wurde es in der Jungsteinzeit möglich, dass sich ein Teil der Gesellschaft dauerhaft von der Arbeit befreit (indem sich fremde Arbeit angeeignet wird) und stattdessen Aufgaben der Rechtssprechung, Ordnung, Führung und Ideologieproduktion übernimmt.

Diese Konzentration der Gewalt auf eine kleine Gruppe statt auf die gesamte Gesellschaft ist der Ursprung des Staates, in der Antike verkörpert durch Könige, Adel und Hofstaat und heute durch den bürgerlichen Staat mit seinen Anhängseln Justiz, Polizei, Militär usw. Die wesentliche Aufgabe des Staates war und ist es, die arbeitende Klasse niederzuhalten und die privilegierte Position der besitzenden Klasse zu schützen.

Das ergibt für mich keinen Sinn, da Herrschaftslos praktisch Anarchie wäre und das recht des Stärkeren gelten würde. Herrschaftslos würde auch freien Markt und Privateigentum bedeuten.

Mit der Aufhebung der Klassen im Kommunismus gibt es auch keine Grundlage, keine Notwendigkeit und keine Möglichkeit eines Staates mehr. Dass der Staat und die Herrschaft verschwindet, heißt aber nicht, dass es keine Koordination, keine Verwaltung, keine Regeln und keine gesellschaftlichen Institutionen mehr gibt, ganz im Gegenteil. Diese Aufgaben werden aber jetzt wieder von der gesamten Gesellschaft wahrgenommen, sodass ein einzelnes Gesellschaftsmitglied heute körperliche Arbeit erledigen und morgen an der Planung und Verwaltung der Produktion teilnehmen kann. Die Wissensmonopole, die das heute noch verhindern, sollen ebenso aufgelöst werden wie das staatliche Monopol auf Rechtsprechung und Gewalt.

Einen freien Markt gibt es eben nicht mehr, weil die Produktionsmittel der gesamten Gesellschaft zur Verfügung stehen und die Produktion demokratisch und zentral geplant wird, um die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Es werden also keine Waren mehr privat für den Tausch hergestellt und damit kann es auch keinen Markt geben.


conmesse 
Fragesteller
 22.09.2023, 11:55

Stimmt Klassenlosigkeit habe ich in der Auflistung vergessen, dachte das würde daraus erfolgen. Indirekt nannte ich das mit:

Kommunismus nicht nur klassenlosen.

Ich dachte immer in Jäger- und Sammler-Gesellschaften würden die besten Jäger und Sammler mehr Macht über ihre Gruppe/Gesellschaft haben, da diese am meisten zum Überleben beigetragen haben. Aber ihre Mitmenschen unterstützten, um einen Vorteil gegenüber beispielsweise rivalisierten Gruppen oder Raubtiere in der zahlenmäßigen Überlegenheit zu haben.

Gerade wegen der Aufhebung der Klassen im Kommunismus dachte ich, es wäre notwendig einen Staat zu haben, der Prinzipen des Kommunismus durchsetzten wird, damit die Klassen nicht wieder kommen. Staat im Sinne von einer Gesellschaft, die demokratisch, also in der Mehrheit herrscht. Die Monopole sind dabei auch zentralisiert in der Gesellschaft und damit auch im Besitz des Staates.

1
DiegoderAeltere  22.09.2023, 15:11
@conmesse
Ich dachte immer in Jäger- und Sammler-Gesellschaften würden die besten Jäger und Sammler mehr Macht über ihre Gruppe/Gesellschaft haben, da diese am meisten zum Überleben beigetragen haben.

Jäger- und Sammler-Gesellschaften funktionieren eben nicht nach den gleichen individuellen Leistungsprinzipien wie die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft. Sich mit steinzeitlichen Methoden zu versorgen, erfordert mehr, als eine Person alleine leisten kann, und ist deshalb notwendig eine Gemeinschaftsarbeit. Die Jagd beispielsweise funktioniert nur in der Gruppe und schlägt öfter fehl als dass sie zu Erfolg führt. Die "Jäger" sind deshalb auch darauf angewiesen, dass die "Sammler" ihr Essen mit ihnen teilen und umgekehrt.

Erfahrene und alte Menschen haben in diesen Gesellschaften natürlich eine respektierte und geachtete Stellung, und ihren Meinungen und Argumenten wird vielleicht etwas mehr Gewicht beigemessen, aber die Entscheidungsfindung und Aufgabenverteilung ist dennoch eine kollektive Aufgabe, in der nicht eine Gruppe über eine andere bestimmt.

Gerade wegen der Aufhebung der Klassen im Kommunismus dachte ich, es wäre notwendig einen Staat zu haben, der Prinzipen des Kommunismus durchsetzten wird, damit die Klassen nicht wieder kommen. Staat im Sinne von einer Gesellschaft, die demokratisch, also in der Mehrheit herrscht. Die Monopole sind dabei auch zentralisiert in der Gesellschaft und damit auch im Besitz des Staates.

Für diese Aufgaben braucht es keinen Staat, sie gehen zur Gesellschaft über. Ein Staat ist immer ein Unterdrückungsinstrument und impliziert deshalb ein Gewaltmonopol und Klassenherrschaft.

Wenn man Marxismus und Anarchismus vergleicht, unterscheiden sie sich nicht so sehr im Endziel, sondern vor allem in der Frage des Übergangs. Der Marxismus betont (ganz im Gegensatz zum Anarchismus) die Notwendigkeit, nach der Revolution und der Zerstörung der bürgerlichen Staatsordnung einen revolutionären Halb- oder Arbeiterstaat ("Diktatur des Proletariats") zu schaffen, um die bürgerliche Konterrevolution abzuwehren. Dabei steht aber fest, dass dieser Arbeiterstaat vorübergehend ist und sein eigenes Ende in der klassenlosen Gesellschaft vorbereitet.

0
WalterMatern  22.09.2023, 17:37
@conmesse
Ich dachte immer in Jäger- und Sammler-Gesellschaften würden die besten Jäger und Sammler mehr Macht über ihre Gruppe/Gesellschaft haben, da diese am meisten zum Überleben beigetragen haben. Aber ihre Mitmenschen unterstützten, um einen Vorteil gegenüber beispielsweise rivalisierten Gruppen oder Raubtiere in der zahlenmäßigen Überlegenheit zu haben

Das wird auch so sein.

Jäger- und Sammler-Gesellschaften funktionieren eben nicht nach den gleichen individuellen Leistungsprinzipien wie die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft

Den Beweis müsste man erst einmal erbringen.

Jede Stammesgesellschaft kennt so etwas wie einen Häuptling, Anführer

Fürst

Das Wort „Fürst“ stammt vom althochdeutschen furisto „der Erste, der Vorderste, der Führende“, das auch die Grundlage für ähnliche Bezeichnungen in anderen germanischen Sprachen bildet: englisch first „als erstes, Erster“, niederländischVorst, dänisch und norwegisch fyrste sowie schwedisch furste. Die dem Adelstitel des Fürsten entsprechende lateinische Vorform princeps („der Erste, Führer“) findet sich noch im deutschen „Prinz, Prinzessin“ und dem englischen prince, princess sowie principality für ein Fürstentum (beispielsweise Principality of Liechtenstein). Der Titel Prince of Wales für den Thronfolger der britischen Monarchie kann zutreffend als „Fürst von Wales“ übersetzt werden, der Titel Fürst von Asturien ist die Übersetzung für den spanischen Thronfolgertitel. Vergleichbare Herrschertitel in anderen Sprachen werden teilweise als Fürst ins Deutsche übersetzt, beispielsweise das slawischsprachigeKnes. Auch das französischeprincipauté steht für „Fürstentum“, etwa bei der Bezeichnung Principauté de Monaco
1

Nur lebensunefahre oder naive Menschen glauben sowas.

Dazu kommt, das der reale Kommunismus nur in Diktaturen durchführbar ist.

Herrschaftslos indem Sinne, dass es keine rein soziale Hierarchie geben soll, sprich wo der mit Wohlstand über dir steht oder ein Szenario wie, dass „der alte weiße Mann“ nicht an der Spitze ist, weil das Kapital nunmal mehr unter Weißen sich anhäuft.

Kompetenzherrschaft gäbe es vermutlich noch. Also ein Arzt wird mehr verdienen können als ein Busfahrer.


conmesse 
Fragesteller
 22.09.2023, 10:46

Ok, Herrschaftslosigkeit im sozialen Sinne. Mehr nicht? Da, wenn privates Eigentum abgeschafft werden würde, gäbe es doch kein "mehr verdienen" zwischen Arzt und Busfahrer.

0
SchopinHauer  22.09.2023, 14:18
@conmesse

Klar. Du könntest sogar in einem kommunistischen Utopia reich werden. Nur eben mit tatsächlicher Leistung-

1