Ist Kreon der tragische Held von Antigone?
Hallo, was würde dafür sprechen und was dagegen? Imerhin ist er am meisten vertreten. Antigone selbst könnte man natürlich auch in Betracht ziehen, aber spiegelt sie wirklich eine tragische Heldin wider?
3 Antworten
Nein eindeutig nicht. Die tragische Figur ist ohne Zweifel Antigone. Was ist tragisch. Wenn man die Wahl hat zwischen Pest und Cholera. Egal was sie tut, sie hat die A....karte. Beerdigt sie ihren Bruder nicht, versündigt sie sich gegen die Götter. Beerdigt sie ihn wird sie mit dem Tode bestraft. Charakteristisch für die griechische Tragödie ist die so tiefe Verstrickung der Protagonisten in eine ausweglose Lage, so dass sie durch Handeln Schuld auf sich laden. Das Schicksal oder die Götter bringen den Akteur in eine unauflösliche Situation, dass er, egal was er macht, immer schuldig wird. Das trifft in dem Fall ganz klar auf Antigone zu. Deshalb ist sie die tragische Figur.
Kann sein, kann aber auch nicht sein. Den Begriff des tragischen Helden gibt es noch nicht sehr lange, es gab ihn definitiv nicht im antiken Griechenland. Dort gab es nicht einmal den Begriff des Tragischen -- oder vielmehr: Es gab sehr wohl ein Wort τραγικός/tragikós, was aber etwas ganz anderes meint als tragisch. Ob die Griechen irgendeine Idee vom Begriff des Tragischen im modernen Sinn hatten, wird diskutiert. Glenn oder besser: Der Göttliche, wie er in Heidelberg hieß, hat dazu einen Aufsatz geschrieben: http://books.google.de/books?id=63k3hX7OYvAC&pg=PA15&lpg=PA15&dq=%22idea+of+the+tragic%22+-eagleton&source=bl&ots=j7RwUdXkmt&sig=emZ5lKhYU1LXaLYv9tmVKk2GyAM&hl=de&sa=X&ei=uop5UdD_L8HXtAb614GoAw&ved=0CEAQ6AEwCQ
Keine Ahnung, wer soll das sein?
Der Medizin-Geräte-Hersteller?
Bestimmt irgendso ein Typ, den Du Dir aus dem Telefonbuch gepickt hast!
For many years, the 'problem', whether Ant. or Kreon should count as 'the tragic hero', and whether or not the unity of the play is compromised by the prominence of two main characters rather than one, was the subject of constant debate. But more recently, as the focus has shifted onto the action and the social dimension of the play, rather than the characters, this pseudo-probem has evaporated: for it is obvious that the key events of the drama depend precisely on the interaction and interdependance of both figures [...] [wie in anderen Dramen auch] Without one there could be no tragedy for the other. (M. Griffith, Sophocles Antigone, Cambridge 1999, S. 36. Auf S. 35 analysiert Griffith Kreos Charakter durchaus wohlwollend: Aber Kreon ist a) mit der Situation überfordert, b) durch die Macht ziemlich blind und korrumpiert: http://www.cambridge.org/de/knowledge/isbn/item1134646/?site_locale=de_DE)
Im übrigen lässt sich mit guten Gründen bestreiten, dass das Begräbnis wie von Antigone behauptet, tatsächlich unumstößliches göttliches Gebot ist -- unabhängig davob, ob Polyneikes irgendein Recht hatte, die Stadt mit Krieg zu überziehen. Egon Flaig behauptet als Historiker, dass einer wie Polyneikes in Athen natürlich ohne Bestattung den Hunden zum Fraß vorgeworfen würde, und für derartiges widerrechtliche Handeln wie das von Antigone war die Strafe in Athen (oder wäre gewesen) noch viel übler. Das Konfliktpotential ergibt sich nur, weil Antigone überzeugt ist, sie müsse Polyneikes um jeden Preis verbuddeln.
In Athen sah die Todesstrafe dann nämlich so aus: http://mkatz.web.wesleyan.edu/grk253/frog_facts/041.htm Das Zitat aus Xenophon könnte man auf Polyneikes anwenden (so monsieur le Flaig).
Doch, man kann Kreon durchaus als den tragischen Held sehen:
- er ist so verblendet, dass er die Berechtigung des göttlichen Gebots der Bestattung nicht erkennt. Darauf baut die Dramatik auf
- bei ihm gibt es eine echte Peripetie und Anagnoresis: er erkennt - freilich zu spät - seinen Irrtum, Antigone zu bestrafen
- durch seine Verblendung verliert er seinen Sohn, am Ende steht er völlig alleine da
Er verstrickt sich also unwissentlich und unwillentlich in die tiefste Schuld - anders als Antigone: sie ist sich der Konsequenzen ihres Handels vollkommen bewusst, was besonders deutlich im anfänglichen Zwiegespräch mit Ismene zum Ausdruck kommt - auf einen Kompromiss will sie sich nicht einlassen.
"Antigone: sie ist sich der Konsequenzen ihres Handels vollkommen bewusst" eben genau das ist tragisch. Zu wissen, egal was man macht, man wird schuldig. "Er verstrickt sich also unwissentlich und unwillentlich in die tiefste Schuld" eben deshalb ist er kein tragischer Held, weil er ja gar nicht auf die Idee kommt zu wählen. Deshalb kann er auch keine falsche Entscheidung treffen. Antigone trifft bewußt eine Entscheidung, im Wissen, egal welche sie trifft, das ist ihr Untergang. Und das ist der Kern jeder griechischen Tragödie.
Da irrst du: Gerade keine Alternative zu haben und sich dadurch in Schuld zu verstricken, ist tragisch. Nimm doch als Beispiel nur einmal den Oedipus Tyrannos her: Auch er weiß nicht, dass er sich unwissentlich in tiefe Schuld verstrickt. Peripetie der Handlung und Anagnoresis treten dadurch ein, dass ihm der Seher Teiresias sein inzeströses Verhältnis mit der Mutter und den Vatermord offenlegt. Ähnlich liegt der Fall bei Kreon: Er ist davon überzeugt das Richtige zu tun, und aus seiner Perspektive tut er das - er stellt das staatliche Prinzip dar, und dem Staatsfeind ist er bis in den Tod unerbittlich gesinnt. Dadurch verstrickt er sich in Schuld, er lässt Antigone einmauern (Exposition) Doch er erkennt sein Unrecht und seine Verblendung mit Hilfe des Teiresias (Peripetie, Anagnoriesis, also Erkenntnis der eigenen Verblendung). Da ist es allerdings schon zu spät: Sein Sohn Haimon hat sich schon aus Liebe zu Antigone umgebracht und seine Frau Eurydike nimmt sich in Folge dessen ebenfalls das Leben - die Katastrophe, der letzte wichtige Teil einer Tragödie, ist eingetreten.
Bei Antigone stellt sich hingegen wirklich die Frage, wo die Tragik liegt: Sie handelt praktisch als Anwalt ihres toten Bruders und bestattet ihn bewusst. Dann wird sie geschnappt, verhört und verurteilt - sie wird weggebracht und eigemauert. Ihr Verhalten ist bewundernswert, aber es läuft linear zu auf das Übel. Und wie bereits oben gesagt, gibt es keine wirkliche Anagnoresis bei ihrem Auftreten, eben weil sie sich ja ihres Handelns bewusst ist.
Gut, ich bin kein wirklicher Spezialist, was griechische Tragödien angeht, obwohl ich mal in Antigone im Chor mitgespielt habe. Also setzt man sich schon mit dem Stoff auseinander. Aber ich habe meinen Schiller gelesen und ich zitiere ihn deshalb. Und nach seiner Meinung müßte Antigone die tragische Heldin sein " Die Hauptperson muss ihr Schicksal sehen und verstehen können, genauso wie die Tatsache, dass ihr Handeln ihr zum Verhängnis wird " Und Kreon weiß und sieht eben nichts. Erst im Nachhinein werden ihm die Auswirkungen seines Handelns klar. Was ist daran tragisch. Ich freue mich auf Dein Gegenargument :)
Sorry, ich bin ein fauler Sack. Habe mich erst jetzt kundig gemacht. Sorry, was hat http://de.wikipedia.org/wiki/Anagnoresis mit einer Tragödie zu tun. Ist aber toll, erschlägt jeden Nichtkundigen sofort ;)
Siehe oben. Ich ärgere mich, dass ich mich nicht früher kundig gemacht habe. Auch http://de.wikipedia.org/wiki/Peripetie hat mit Tragödie überhaupt nichts zu tun. Du arbeitest mit Argumenten die eine große Kompetenz vermuten lassen. Wenn man genau hinschaut ist es nur ein Popanz. Schade eigentlich :(
Erst einmal wäre eine gewisse Sachlichkeit angebracht.
Ich sehe nicht, wie die beiden Wikipediaartikel mein Argument in irgendeiner Form entkräften würden: Die Anagnoresis ist in Aristoteles' Poetik ein Kennzeichen einer guten Tragödie. Damit ist nicht zwangsläufig das Erkennen zweier Personen gemeint, sondern die Erkenntnis der eigenen Unwissenheit zu Erkenntnis. Die Person, die zu der plötzlichen Erkenntnis gelangt, ist aber in vielen Fällen der tragische Held selbst, weil ja gerade durch die Unwissenheit die Katastrophe selbst in Gang gesetzt wird..
Ebenso verhält es sich mit der Peripetie: Dieser Begriff bezieht sich auf den Handlungsverlauf. Doch die Person, die am meisten von der Peripetie getroffen ist, ist der tragische Held, denn das Kennzeichen des Helden in einer guten Tragödie ist nach Aristoteles, dass eine ethisch gute Person, oftmals durch ihre Unwissenheit, den Umschlag von Glück nach Unglück erlebt - und Kreon handelt wenigstens nachvollziehbar.
Im Übrigen gilt, dass sich die Forschung in der Beurteilung der Antigone selbst nicht einig ist. Ich habe ja auch nie mit Sicherheit behauptet, dass Kreon der tragische Held ist, aber es gibt nunmal einige Argumente, die dafürsprechen - ebenso, wie es einige Argumente gibt, die für Antigone sprechen.
Ich will ja keinen Streit vom Zaun brechen. Ich kann nicht griechisch, aber so wie ich die beiden Artikel verstehe, sind sie kein Beleg für Deine These. Als Fastschwabe halte ich mich an meinen Schiller und seine Definition. Antigone ist königlichen Bluts, egal wie sie sich entscheidet lädt sie Schuld auf sich, und sie stirbt am Ende. Mehr geht kaum. Ein klassisches Beispiel für mich ist Orest. Auch er ist königlichen Blutes. Die gleiche Zwickmühle. Rächt er seinen Vater nicht, lädt er den Zorn der Götter auf sich. Rächt er den Tod des Vaters, wie es seine Sohnespflicht ist, wird er zum Muttermörder, was natürlich die Schlimmste aller Taten ist. Entsprechend wird er von den Erynnien geplagt und durch die Lande gehetzt und findet nirgens Ruhe. Im Gegensatz zu Antigone stirbt er allerdings nicht, respektive erst im hohen Alter. Und auch ich weiß, das es verschienen Definitionen der Tragödie gibt und heftig diskutiert wird. Ich bin halt ein großer Anhänger Schillers und ich ich halte ihn für den Dramatiker überhaupt, sogar besser als Goethe. Deshalb möge man mir verzeihen :)
Sorry, aber der Artikel ist seitenlang und auf englisch, das übersteigt meine Fähigkeiten :( Aber grundsätzlich hast Du Recht. Und ich gebe zu, dass ich mich auf Schiller's Definition der griechischen Tragödie bezogen habe. Und nach seiner Definition ist Antigone die tragische Heldin. Aber wer ist schon Schiller :)